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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dorfheiligen, ließen sich in der Osternacht segnen und zogen um Mitternacht singend in die Kirche, brennende Kerzen in der Hand und das Osterbrot in der Tasche, das Vater Ifan an die Armen verteilen sollte.
    So sah es in Perjekopsskaja aus, diesem an den Fluß hingeduckten Dorf mit den weit heruntergezogenen Dächern aus Stroh. Und nun hatte der Blitz eingeschlagen und das Bild des heiligen Wladimir mittendurch gerissen.
    Der heilige Wladimir von Perjekopsskaja war ein Wunderbild. 1914 hatte es begonnen, als die Kosaken im fernen Norden gegen die Deutschen ihre Attacken jagten. Die Weiber waren allein im Dorf, sie vermißten die Männer, gackerten wie die Hühner und hatten vor Sehnsucht schlaflose Nächte. Da hinein platzte eines Tages Iwan Iwanowitsch Schilow. Er war Kosak, verwundet am linken Arm, hatte Heimaturlaub und ließ sich von den Weibern bestaunen. Einen Orden trug er sogar auf der Brust, aber das war es nicht, was die Frauen so wild machte. Schilow war kerngesund bis auf seinen Arm, und – verdammt nochmal – er war ein Bild von einem Mann. Groß gewachsen, mit schwarzen Locken, einem Bärtchen auf der Oberlippe und harten Muskeln.
    Ifan Matwejewitsch, damals ein junger Priester, sah es mit verdunkelten Augen: die Weiber kamen um den Verstand. Fast Schlange standen sie vor dem Haus Schilows, schlichen nachts durch dessen Garten, ließen die Türen ihrer Häuser offen oder trugen Decken in die Büsche am Don.
    »Er ist wie ein Stier!« seufzte Ifan. »Woher nimmt er das bloß?«
    Vor Ostern geschah dann das Wunder des heiligen Wladimir. Schilow kam zur Beichte, um den Ostersegen reinen Herzens empfangen zu können, und erzählte Vater Ifan alles.
    Ifan Matwejewitsch wurde es schwarz vor Augen, als er die Namen hörte, die Schilow herunterrasselte. Da fehlte kaum ein Frauchen, selbst die Jungfrauen waren nicht verschont worden. Sogar Proskowja, die Frau des Dorfältesten, war dabei, und sie zählte immerhin schon zweiundsechzig Jahre.
    »Ist das alles?« fragte Ifan mühsam.
    »Ich glaube, es sind alle«, antwortete Schilow demütig. Trotz seiner Potenz war er ein einfältiges Gemüt. In seinem Schädel lag mehr Luft als Hirn. »Habe ich einen Namen vergessen, Väterchen … was macht es? Ich habe die Kontrolle verloren –«
    Ifan Matwejewitsch starrte auf Schilows gesenkten Nacken. Dann sprach er mit dunkler Stimme: »Knie vor dem Bild des heiligen Wladimir und bete –«
    Schilow tat es, und da geschah das Wunder.
    Der Heilige sprach plötzlich zu ihm. Hohl, himmelsfern, entrückt, aber deutlich.
    »Dreh dich um, Schilow«, sagte er.
    Schilow gehorchte. Was dann passierte, erzählten Schilow und Vater Ifan mit heiligem Schauer.
    Der heilige Wladimir stieg aus der Ikone – Schilow sah es nicht, denn er drehte ihm ja den Rücken zu –, und gab dem Sünder einen so mächtigen Tritt, daß Schilow wie aus einem Rohr geschossen durch die Kirche sauste, mit dem Kopf gegen die erste Betbank stieß und die Besinnung verlor.
    »O Gott!« sagte indessen Vater Ifan und hielt sich den rechten Fuß fest. »Hat der ein hartes Gesäß!«
    In der Sakristei zog er den Stiefel aus, konstatierte einen Bluterguß im großen Zeh und hatte in den nächsten Tagen große Mühe, sich nicht durch Hinken zu verraten.
    Perjekopsskaja aber erstarrte in Ehrfurcht vor der Ikone. Schilow erzählte es jedem, wie der Heilige ihn bestraft hatte, und zwei Tage später fuhr er weg, in den Süden, nach Rostow, wo seine Schwester wohnte. Von Stund an galt der heilige Wladimir als Bestrafer der Ehebrecher. Immer wenn eine Frau vor ihm kniete und betete, bekam deren Ehemann blanke Augen und stiftete heimlich eine dicke Kerze vor dem Wunderbild. Auch Vater Ifan, nun schon sechsundfünfzig Jahre als Priester in Perjekopsskaja, lebte gut von der Furcht der Nesträuber. Sie brachten ihm heimlich Speck und Eier, Schinken und eingelegte kandierte Beeren, gesalzenen Fisch und dicke Sahne.
    »Sprich mit dem heiligen Wladimir«, hieß es dann immer. »Es war nur eine Verirrung bei mir. Bete für uns, Väterchen.«
    Das war nun vorbei. Der Blitz hatte das Bild zerfetzt. Der heilige Wladimir hatte Perjekopsskaja verlassen.
    Ifan Matwejewitsch tat etwas, was sonst nur noch zu Ostern und bei Katastrophen üblich war: er läutete die Glocke.
    Er ließ sie bimmeln, als brenne die Steppe, soweit das Auge reicht, oder der Don trete über die Ufer und ersäufe das Dorf.
    Eine halbe Stunde später war die kleine, bunt bemalte Holzkirche voller Menschen. Von
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