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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don
Autoren: Heinz G. Konsalik
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warteten die Omnibusse. Breit leuchtete vom Dach des riesigen Flughafengebäudes die kyrillische Schrift mit dem Namen:
    Scheremetjewo.
    Der Prunkflughafen von Moskau. Hineingepflügt in ein unermeßliches Waldgebiet, dreißig Kilometer von der Hauptstadt entfernt, gigantisch in seinen Ausmaßen wie das Reich, das die Fluggäste jetzt betraten.
    Rußland … das größte Land der Erde.
    Eberhard Bodmar war einer der ersten, der das Flugzeug verließ. Er nickte den Stewardessen freundlich zu und stieg die steile Treppe der Gangway hinab zu den Bussen. Auf halber Höhe blieb er stehen und überblickte Scheremetjewo.
    Der klotzige Kontrollturm, die riesigen Krakenarme der Radarstationen, das langgestreckte, in der Sonne blendende Hauptgebäude und ringsherum das Waldmassiv, dunkelgrün, ein wogendes Laubmeer, das am Horizont den Himmel auffraß … erster Eindruck einer anderen Welt, in der es keine Enge gibt, in der die Weite das Herz ergreift.
    Eberhard Bodmar war zum erstenmal in Rußland. Aber er kannte dieses Land … aus Erzählungen und Berichten, Bildern und Filmen und aus den vergilbten Briefen seines Vaters, an den er nur noch eine verschwommene Erinnerung hatte. Acht Jahre war er alt gewesen, als ein nüchterner Brief der Mutter und ihm mitteilte, daß der Leutnant Holger Bodmar bei einem Stoßtruppunternehmen gefallen sei. In Stalingrad. Mitten in der Stadt. In einer Straße, die zum Roten Platz führte. »Er hat nicht lange gelitten, er war sofort tot«, schrieb der Bataillonskommandeur. »Wir haben unseren Kameraden Bodmar mit allen Ehren begraben …«
    Seine Witwe glaubte es und setzte ›n stolzer Trauer‹ die Nachricht vom Heldentod ihres Mannes in die Zeitung. Erst Jahre später erfuhr sie, daß von einem Begräbnis in allen Ehren wohl keine Rede gewesen sein konnte. Als Leutnant Bodmar fiel, war die eingeschlossene, verhungernde, verfaulende, verratene 6. Armee bereits in der Auflösung begriffen. Täglich starben Tausende an Hunger, Verwundungen, Wundfieber, Typhus und Schwäche und wurden, steifgefroren wie bizarre Eiszapfen, in die Trichter geworfen, in zerschossene Keller geschoben oder einfach zwischen den Trümmerbergen der Stadt liegen gelassen.
    Aber die Briefe aus Rußland waren geblieben. Eberhard Bodmar hatte sie oft gelesen. Aus ihnen hatte er sich das Bild dieses Landes gemacht, das seinen Vater verschlungen hatte.
    »Rußland ist von einer schrecklichen Schönheit«, hatte im Jahre 1942 der Leutnant Holger Bodmar geschrieben. »Man kann verstehen, daß nur hier und nirgend anders ein Iwan der Schreckliche, ein Peter der Große, eine Katharina und ein Rasputin leben konnten. Nur hier war es möglich, daß man für den Bau einer Straße durch die Taiga 200.000 Menschen opferte … nur hier kann man verstehen, daß der einzelne Mensch elend und winzig ist und nicht mehr wert als ein Staubkorn …«
    Nun also war er, der Sohn, in Rußland!
    »Bittä … gähen Sie weitärr …« hörte er hinter sich eine Stimme und merkte, daß er den ganzen Verkehr störte. Er zuckte zusammen, preßte die Finger um den Griff seines kleinen Handkoffers und lief schnell die letzten Stufen der Gangway hinab.
    Welch ein Gefühl, dachte er. Verdammt, ein Journalist sollte solche Gefühle nicht haben! Ein Journalist soll nüchtern denken, klar, kompromißlos, wahr, frei von Emotionen und leidenschaftslos. Er soll die Wirklichkeit sehen und darüber berichten.
    Aber kann man das in Rußland? Kann das ein Eberhard Bodmar?
    Er blieb vor dem Omnibus stehen und ließ erst die anderen Fluggäste einsteigen. Noch einmal blickte er in die Runde. Über das Flugfeld, zu den startenden und landenden Maschinen, über das Gewirr von Tankwagen, Kleinbussen, Werkstattautos und Menschentrauben, zu den in der Maisonne gleißenden Gebäuden und dem riesigen Turm, dem Herz von Scheremetjewo.
    Ich glaube, ich habe mir zuviel vorgenommen, dachte er. In Deutschland, in der Redaktionsstube, sieht das alles ganz anders aus. Da purzeln die Pläne aus dem Hirn, da fährt der Finger auf der Karte einfach die Strecken ab, als wolle man hinaus zum Fußballstadion. Da sagt man kaltschnäuzig: »Na was denn! So ein Trip nach Stalingrad, auf den Spuren der deutschen Armeen, was ist das schon? Wir sind eine andere Generation, nüchtern, sachlich. Uns steht nicht gleich das Wasser in den Augen, wenn wir Namen nennen wie Minsk, Charkow, Terek, Großer Don-Bogen, Krim, Ladogasee, Ilmensee, Pripjetsümpfe, Orscha, Rshew, Stalingrad. Das waren
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