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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Feldern und aus den Gärten waren sie herangelaufen, sogar die Fischer hatten die Kähne ans Ufer gerudert und standen nun, nach Fisch stinkend, vor der geschändeten Ikonastase.
    Vater Ifan bekam rotumränderte Kaninchenaugen. Er sah auf Dimitri Grigorjewitsch Kolzow herab und freute sich, daß auch dieser in der Kirche war. Man muß wissen: Kolzow war der Bürgermeister des Dorfes, Mitglied des Bezirkskomitees, Altbolschewist und Vorsitzender der Kolchose ›Triumph der Revolution‹.
    »Was ist das, he?« schrie Kolzow, als Ifan hinter der Ikonenwand hervortrat. »Läutet die Glocken wie ein Irrer! Was soll's?«
    »Wir sind vernichtet«, sagte Ifan dumpf.
    »Die Kirche ist längst am Ende!« schrie Kolzow zurück.
    Er war ein schwerer Mann mit grauen Haaren, die wie ein Kranz um seinen dicken Schädel lagen. Er trug das knielange Hemd der russischen Muschiks, um den Bauch mit einem breiten Lederriemen gerafft.
    »Ist das ein Grund, die Glocke zu schlagen?«
    »Der heilige Wladimir ist vernichtet –«
    Ifan trat zur Seite. Über die Leute von Perjekopsskaja senkte sich erschrockenes Schweigen. Auch Kolzow, der Dorfsowjet, starrte auf das zerrissene Bild. Ihm wurde heiß unter dem Kragen, und er fuhr sich mit beiden Händen um den Hals.
    »Welcher Hund war das?« schrie einer aus der Menge. »Unser Wunderbild!«
    »Es war der Himmel!« sagte Ifan feierlich. »Ein Blitz, Brüder. Ein einziger Blitz nur im ganzen Land … und er traf uns!«
    »Ich habe ihn gesehen und gehört«, rief eine alte Frau. »Er zuckte aus dem blauen Himmel.«
    Ifan widersprach nicht. Es ist das Recht der Wunder, sich in der Phantasie zu verstärken.
    »Das Gnadenbild ist zerstört.« Ifan Matwejewitsch hob beide Arme gegen das Loch in der Kirchendecke. »Der Herr sei mit uns allen.«
    »Und was bedeutet das?« fragte Kolzow. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Der Bolschewismus ist von den Menschen gemacht, dachte er, aber das hier war ein Fingerzeig Gottes. Selbst ein Blinder kann nicht daran vorbeisehen.
    »Es wird ein Unglück geben«, sagte Vater Ifan dröhnend. »Noch in diesem Jahr wird über Perjekopsskaja Feuer regnen –«
    Die Männer und Frauen des kleinen Dorfes am Don senkten die Köpfe.
    Ein Unglück?
    Gab es einen neuen Krieg?
    Kamen die Deutschen wieder?
    »Wir werden aufpassen!« sagte Kolzow in die qualvolle Stille hinein. »Wir werden auf der Hut sein, Genossen –«
    *
    Jelena Antonowna stand neben dem Leiter der Zollabfertigung hinter dem langen blanken Tisch und blickte auf die runde Uhr in der weiträumigen Flughafenhalle.
    Am Horizont, glitzernd gegen den blauen Frühlingshimmel wie ein Raubvogel mit silbernem Gefieder, senkte sich eine Turboprop-Maschine auf das Rollfeld. Die Fahrwerke waren ausgeschwenkt, drei Omnibusse fuhren dem Flugzeug über eine Betonstraße entgegen. Aus den Lautsprechern schallte die Stimme der Sprecherin im Kontrollraum.
    »Flug 23, Prag-Moskau, landet in wenigen Minuten.«
    »Das ist sie«, sagte der Leiter der Zollabfertigung. »Die TU 104. Soll ich ihn schon im Omnibus ausrufen lassen?«
    »Nein. In der Halle. Ich will ihn mir aus der Ferne ansehen.« Jelena Antonowna knöpfte die Jacke ihres hellblauen Sommerkostüms zu. Sie war ein hübsches Mädchen mit langen Beinen und einem schlanken Körperchen, großen dunkelbraunen Kulleraugen und einem Kirschenmund. Die schwarzen Haare waren kurz geschnitten, so kurz, daß der Wind hindurchfegen konnte, ohne sie zu zerzausen. Das Kostüm, das Jelena trug, war ein Modell aus Budapest. Ein Glücksfall, den sie im Kaufhaus ›GUM‹ erstand, ehe die Sendung aus Ungarn in der Bevölkerung überhaupt bekannt wurde. Als dann die Modenschau stattfand, war Jelena schon Besitzerin dieser modischen Neuheit. Es hagelte zwar über diese ›Schiebung‹ Beschwerden bei der Kaufhausleitung, aber merkwürdigerweise hörte man nie wieder etwas darüber. Jelena Antonowna Dobronina besaß einen geheimnisvollen, mächtigen Gönner … man wird noch manches darüber zu sagen haben.
    So wie sie jetzt hinter dem Zolltisch stand und auf die landende Maschine aus Prag blickte, bot sie den Anblick frühlingsfrischer Jugend. Elegant, modern, mit einer Note Keckheit und einem Schuß Sex. Ein Weibchen, bei dem die Männer feuchte Lippen bekommen.
    Die ›TU 104‹ rollte aus, schwenkte auf die Piste, die Gangway wurde herangefahren, die breite Tür klappte zur Seite, zwei Stewardessen traten heraus und bildeten Spalier für die Fluggäste. Unten, am Ende der Treppe,
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