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Die dunkle Macht des Mondes

Die dunkle Macht des Mondes

Titel: Die dunkle Macht des Mondes
Autoren: Susan Krinard
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PROLOG
    A n seinen Händen klebte Blut.
    Dorian rannte blind durch die Wälder. In seinem Kopf rauschte die Stille. Die Zweige rissen an seiner Kleidung und zerkratzten seine Haut. Blutige Wunden überzogen sein Fleisch und schlossen sich, noch ehe er weitere hundert Schritte gerannt war. Er spürte keinen Schmerz. Er spürte nur, dass sein Verstand sich auflöste.
    Raoul ist tot.
    Die Waffe war zu einem Teil seiner Hand geworden. Das Metall hatte sich wie ein Brandzeichen in seine Handfläche geätzt.
    Raoul war tot, und nichts konnte das ungeschehen machen.
    Er wusste nicht, wie weit er gerannt war, ehe er wieder zu sich kam. Er hielt am Rand einer kleinen, von Sterblichen bewohnten Stadt an, die schläfrig in der warmen Sommersonne lag. Die Menschen starrten ihm hinterher, als er mit schlammigen Schuhen und in zerlumpte Kleidung eingehüllt die Hauptstraße entlangging. Ein einziger guter Samariter, ein Mann mittleren Alters mit tiefen Lachfalten um seine Augen und von der Arbeit rauen Händen, rief nach Dorian, als er an ihm vorbeikam.
    “Alles in Ordnung, Mister?”, fragte er. “Brauchen Sie Hilfe?”
    Dorian drehte sich nach dem Sterblichen um. Er verstand das Angebot kaum. Niemand hatte ihm je so eine Frage gestellt. Aber als er dem Mann in die Augen sah, zuckte der Sterbliche zusammen, stolperte ein paar Schritte zurück und ließ Dorian schnell wieder in Ruhe.
    So war es immer gewesen. Sie hatten immer Angst.
    Mit diesem düsteren Wissen wurde auch Dorians Verstand wieder klar. Er fand einen Zwanzigdollarschein in seiner Brieftasche und ging zum winzigen Bus-Terminal der Stadt. Niemand im Bus erwiderte seinen Blick. Er saß ruhig auf seinem Platz, bis der Bus in Manhattan ankam. Er stieg aus und begann wieder zu gehen. Er ließ sich von seinen Füßen tragen, wo immer sie hinwollten.
    Er konnte nicht nach Hause gehen. Es gab kein Zuhause mehr, jetzt, wo Raoul tot und der Clan zerschlagen war.
    Er konnte sich hinterher nicht mehr daran erinnern, wie er an den East River gelangt war. Am Flussufer surrten die Sterblichen, und die Luft war angefüllt mit einem schweren Geruch nach Öl, Schweiß und abgestandenem Wasser. Dorian ging langsam am Ufer entlang und sah auf die schwarze, ölig schimmernde Oberfläche hinab.
    Es war schwer, einen Vampir zu töten. Es war noch schwerer für einen Vampir, sich selbst umzubringen. Aber an Willen hatte es Dorian nie gemangelt.
    Er stand am Rand der Mole. Die Zehen seiner Schuhe ragten über den Rand hinaus. Ein Schritt noch, das war alles.
    “Das würd’ ich lassen, wenn ich du wär’.”
    Der alte Mann kam, ein Bein hinter sich herziehend, von hinten auf Dorian zu und blinzelte ihn durch ein Nest aus Falten an. Er war sehnig wie ein alter Jagdhund und in wild zusammengewürfelte Lumpen gehüllt.
    Und er hatte keine Angst.
    “So schlimm kann das alles nicht sein”, sagte der Mann und bot Dorian ein Lächeln an, in dem mehrere Zähne fehlten. “Ist es nie.” Er schob seine Hände in seine löchrigen Taschen. “Jedem geht es irgendwann mal schlecht. Deshalb müssen Leute wie wir zusammenhalten.”
    Dorian starrte den Mann an. Der starrte zurück.
    “Walter heiß’ ich, Walter Brenner.” Er streckte seine Hand aus. Dorian zögerte. Auch das hatte noch kein Sterblicher zuvor getan.
    “Ich hab keine ansteckenden Krankheiten, falls du davor Angst hast”, sagte Brenner, “aber ich hab ein bisschen was zu essen, falls du Hunger hast. Und ’ne Stelle zum Pennen, wenigstens für heute Nacht. Dann kannst du dich immer noch entscheiden, was du als Nächstes machst. Morgens sehen die Dinge immer besser aus.”
    Langsam nahm Dorian die raue, knotige Hand. “Dorian”, sagte er, “Dorian Black.”
    “Na, Dorian Black, du kommst lieber mal mit mir mit. Braver Junge. Der alte Walter wird sich schon um dich kümmern.”
    Dorian ging mit. Was hätte er sonst tun sollen.
    Er war frei, aber sein Leben war zu Ende.

1. KAPITEL
    26. Oktober 1926, New York City
    D as dumpf glucksende schwarze Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen. Sie schlug wild um sich, doch ihre Arme und Beine waren so schwer und unbeweglich wie Baumstämme. Hinter ihren Augenlidern zuckte aggressives rotes Licht, sie konnte nicht denken, konnte nichts tun, außer sich auf ihren Instinkt zu verlassen, der sie davon abhielt, den Mund zu öffnen und die widerliche Brühe zu schlucken, die um sie herum waberte.
    So also fühlt sich Sterben an?
    Der Gedanke kam und ging in einem kurzen lichten Moment, ehe sie
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