Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Frühlicht glänzende Straße lief und um die Ecke bog. Dann ließ sich Borja fallen, drückte das Gesicht an die Mauer und weinte mit lauten, hohlen Tönen. Die Tränen durchweichten seinen Bart, als halte er sein Gesicht in den Regen.
    Ein halbe Stunde später verhandelte er mit der trauernden Familie Demichow.
    »Ein so gutes Großväterchen war er«, sagte er. »Ein so edler Mensch. Ein Charakter wie Glas. Man sollte ihm ein besonders schönes Plätzchen für den ewigen Frieden gönnen. Dort unter der Ulme, liebe Genossen im Schmerz. Was für eine tiefe Freude, dort zu liegen. Wenn Sie mir dreißig Rubel überlassen, werde ich mit dem Inspektor darüber sprechen –«
    Ein neuer Tag hatte in Wolgograd begonnen …
    *
    »Ich wußte, daß Sie kommen, Bodmar. Vernunft und Liebe sind zwei feindliche Schwestern. Ich hatte von Beginn unserer Bekanntschaft an das Vertrauen in Sie gesetzt, daß Sie ein vernünftig denkender Mensch sind. Trotz Ihres Ausflugs in die Romantik einer Kosakenliebe. Bitte nehmen Sie doch Platz. Ihr Paß ist bereits fertig. Sie sehen daran, wie sicher ich meiner Sache war.«
    Peter Kallberg holte den grünen deutschen Paß aus seiner Rocktasche und warf ihn vor Bodmar auf den kleinen runden Rauchtisch.
    Die Fahrkarte in die Freiheit.
    Rückkehr in die Heimat.
    Was heißt das jetzt noch? dachte Bodmar. Was ist Heimat? Gibt es so etwas überhaupt ohne Njuscha? Ist die Leere, in die ich hineingeflogen werde, noch ein Leben? Was ist denn noch ein Leben ohne Njuscha? Kann man das noch ertragen?
    Heimat –, das ist doch ein abstrakter Begriff. Ein Monster, das einen auffrißt, wie die Spinne ihr Männchen. Heimat! Wer sagt hier Heimat?! Wer ist der Narr, der etwas Unnützes aus sechs Buchstaben so feierlich ausspricht?
    Er warf einen Blick auf den Paß und fegte ihn dann mit einer Handbewegung auf den rotblau gemusterten Teppich. Kallberg hob interessiert die Brauen.
    »Ich bin nur gekommen, um Ihnen endgültig zu sagen, daß ich in Rußland bleibe.« Bodmar stellte seinen Rucksack auf den Tisch und nahm die Zigarette, die ihm Kallberg aus einer Schachtel entgegenhielt. Dabei blickte er sich um. Ein modern eingerichtetes Hotelzimmer, die Tür zum Flur, eine kleinere Tür in das nebenan liegende Badezimmer, ein Fenster mit zwei Flügeln. Bodmar rauchte ein paar Züge, legte dann die Zigarette in den großen gläsernen Aschenbecher und öffnete mit ruhigen Bewegungen seinen Rucksack, als wolle er ein Geschenk auspacken oder als sei er ein Hausierer, der etwas Außergewöhnliches, eine Neuheit vielleicht, anzubieten hat. Kallberg beobachtete ihn mit leicht geneigtem Kopf … sein Lächeln war süffisant, von einer schleimigen Vertrautheit. Es gefror auf seinem Gesicht, als Bodmar eine Pistole aus dem Rucksack zog. Es war die Waffe, die ihm Kalinew beim Abschied aus Perjekopsskaja in die Hand gedrückt hatte.
    »Das ist das Dümmste, was Sie tun können«, sagte Kallberg ohne jegliche Regung. »Was ändern Sie damit?«
    »Wissen Sie, daß Njuscha davongelaufen ist?«
    »Nein. Aber da Sie mir das jetzt sagen, habe ich alle Hochachtung vor dem Mädchen. Es ist klüger als Sie, Bodmar.«
    »Sie hat unser Gespräch an der Gruft mitangehört.«
    »Und überblickte die Lage besser als Sie.«
    »Sie ist fortgelaufen, um mir den Weg in die Freiheit leichter zu machen.«
    »Das beweist, wie groß ihre Liebe zu Ihnen ist. Der Verzicht auf Egoismus bedeutet die größte Überwindung überhaupt.«
    »Aber ich werde Rußland nicht verlassen. Und wir werden das in den nächsten fünf Minuten klären.«
    »Bitte.« Kallberg setzte sich und schlug die Beine übereinander. Unbefangen blickte er in die Mündung der Pistole, die sich gegen seinen Kopf richtete. »Glauben Sie nicht, Bodmar, ich sei ein eiskalter Hund. Außerhalb meines Dienstauftrags, von Mann zu Mann, kann ich Sie gut verstehen. Ich habe Njuschas Foto in der Zeitung gesehen … so unscharf es auch ist, es strahlt immer noch diese rätselhafte Schönheit aus, der wir Männer erliegen. Das Geheimnis der russischen Seele, Kosaken am Don, die Steppe … das sind Drogen, die wir Deutschen seit Jahrhunderten einschnupfen wie Rauschgift. Irgendwie verlieren wir den Verstand, wenn wir über die Weichsel kommen … spätestens am Dnjepr trägt uns die Verzauberung davon auf rosigen Wolken. Aber die Realitäten bleiben, und die sind brutal, mein Bester, die lassen keinen Raum für Träumereien.«
    »Weil Menschen Ihrer Sorte den Frieden nur als eine Atempause der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher