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Licht

Licht

Titel: Licht
Autoren: Christoph Meckel
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dich auf mich drauf weil mir schrecklich kalt war. Wir lagen betäubt und umschlungen da, und als wir einschliefen, fing es zu regnen an. Das war gegen Morgen, wir kletterten auf den Weg und gingen weiter, die Haare klebten am Kopf, wir waren ganz grau vor Müdigkeit und hatten Durst. Als es hell wurde, entdeckten wir eine Bushaltestelle, aber es dauerte noch eine Stunde, bis uns der erste Bus von dem kleinen Blechdach wegholte. Am Bahnhof stiegen wir in ein Taxi und fuhren zu dir, du wohntest noch in der billigen Wohnung am Kanal. Wir duschten heiß und kalt und tranken Kaffee in der Küche und fanden, daß das alles richtig war, und du umarmtest mich und wir lachten wie früher, wir waren uns einig und alles war gut.
    Am Nachmittag brachte ich Dole zum Flughafen. Abflug Mailand 17 Uhr 40. Sie trug den schwarzen französischen Mantel, die schwarzen Stiefel und einen grünen Shawl (sie sah schöner aus als auf jeder Fotografie). Wir kauften Orangen und Zeitungen für die Reise und tranken Kaffee an der Bar. Dole war zerstreut, ihre Augen glänzten. Sie umarmte mich mehrmals heftig und unerwartet. Liebst du mich? Sag, daß du mich liebst. In zwei Wochen bin ich wieder zurück. Was wirst du in der Zwischenzeit tun? Hast du den Schlüssel zu meiner Wohnung?
    Wirst du mich vermissen? Schreib mir postlagernd Mailand, ich schreibe dir auch, ich schreibe dir ganz bestimmt. Mach dir keine Gedanken, es geht mir gut, ich mache mir auch keine Gedanken um dich. Und wenn ich zurückkomme – machst du ein Fest für mich? Ich wünsche mir ein langes leuchtendes Fest.
    Ich brachte sie zur Sperre, wir küßten uns schnell, sie winkte mit schwarzem Handschuh und verschwand.
    Seit zehn Tagen keine Post von ihr. Sie ist in Mailand nur postlagernd zu erreichen, hat also keine Adresse. Ein Telegramm an sie ist ohne Antwort geblieben. In ihrer Redaktion weiß man nur, daß sie nach Mailand geflogen und dort postlagernd zu erreichen ist. Kollegen und Freunde haben nichts von ihr gehört, weder Telefonanrufe noch Ansichtskarten. Das liegt vielleicht an der italienischen Post. Die Postkarten treffen ein, wenn sie wieder da ist (ich möchte nicht vor meinen Briefen nach Hause kommen, sagt sie, das ist für alle enttäuschend). Ich war in ihrer Wohnung, fand aber keinen Anhaltspunkt, hatte auch keinen Anhaltspunkt erwartet. Ich war in ihrer Wohnung, weil ich den Schlüssel habe. Briefe und Zeitungen auf dem Teppich im Flur, aber kein Hinweis für mich, kein zurückgelassenes Zeichen.
    Das sieht nach einer gewöhnlichen Reise aus.
    Sie ist nicht in Mailand.

Stephen Hopkins
Albergo Belpasso
6, Piazza Giuseppe Mazzini
Catania
Sicilia/Italy
    Ich weiß nicht, was Julia Ihnen mitgeteilt hat. Sie hatte vor, mit Ihnen zu sprechen, ein Gespräch war seit Monaten unvermeidbar, sie scheint es aber immer wieder hinausgezögert zu haben. Deshalb meine Frage, ob Julia vor ihrer Abreise mit Ihnen gesprochen hat und was Sie wissen. Um überhaupt an Sie schreiben zu können, muß ich annehmen, daß Sie von meiner Person erfahren haben, andernfalls ist jedes Wort unmöglich. Julia hat nur wenig und unzusammenhängend von Ihnen gesprochen, aber dem Wenigen habe ich entnommen, daß Sie Julia lieben oder geliebt haben. Obwohl sie das niemals aussprach, ist es das einzige, was ich von Ihnen weiß.
    Ich begreife ihren Tod als Unfall, der verursacht wurde durch Enttäuschung über meine Abwesenheit und schließlich Erschöpfung. Ich vermute, daß sie nach Rom kam mit dem Entschluß, sich endgültig von Ihnen zu trennen, und ich muß annehmen, daß sie die Absicht hatte, ihre Beziehung zu mir abzubrechen, als sie Catania plötzlich verließ. Aber solange ich das nicht mit Sicherheit weiß (und ich werde es nicht mit Sicherheit wissen, es sei denn, sie hat Ihnen etwas anderes gesagt), sehe ich Julia als meine Geliebte an. Ausführlicher zu schreiben ist mir nicht möglich. Ich habe meine Sekretärin veranlaßt, Ihnen das Notwendige mitzuteilen.
    17. Dezember.
    Mister Hopkins hat mich gebeten, Ihnen die Umstände mitzuteilen, die zum Tod von Signora Schubert führten.
    Signora Schubert kam am 4. Dezember auf dem Flughafen Mailand an und flog von dort am 6. Dezember nach Rom. Sie war für den Nachmittag dieses Tages mit Mister Hopkins im Hotel Parthenon verabredet (Reservierung eines Doppelzimmers durch Mister Hopkins privat). Mister Hopkins ist aufsichtführender Ingenieur unserer Firma und in Catania seit etwa zwei Monaten beim Bau eines Kraftwerks tätig. Konferenzen
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