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Licht

Licht

Titel: Licht
Autoren: Christoph Meckel
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Laub auf dem Wasser, die reglosen Spiegelungen und die Hausboote, unsere Schritte in der Lautlosigkeit. Das ist eine Stadt für die Liebe wie Paris oder London, sagt Dole, man bleibt drei Tage dort und kann sich später nicht mehr erinnern, was man gemacht hat. Man weiß nur noch, daß es schön war und will wieder hin. Denkst du noch an die Tage in Amsterdam?
    Wir trinken Gintonic, danach einen zweiten, dann trinken wir Sherry. Die überheizten Räume im Winter und die Kälte draußen, das macht unglaublich müde, sagt Dole, ich bin so müde, daß ich kaum was vertrage, nach einem halben Glas bin ich fast betrunken. Sie entdeckt ihr Gesicht im Spiegel hinter der Bar, das verwirbelte Haar, die geröteten Augen. Ihr Spiegelbild scheint sie zu erschrecken; sie überreicht mir das Ende ihrer Zigarette, greift nach ihrer Tasche und ist verschwunden. Ich warte auf sie und halte den Barhocker frei. Ich warte, denn es ist möglich, daß sie zurückkommt. Nach vier Zigarettenlängen und sieben Verzweiflungen erscheint sie und es genügt, daß sie wieder da ist. Es ist gelungen, den Barhocker frei zu halten, sie strahlt in Anerkennung meiner Mühe für uns. Unsere Freude ist immer noch da. Ihre Augen sind ruhiger, aber immer noch hell. Das Gespräch hat Pausen, gehört aber immer noch uns. Der Augenblick ist noch in unserer Macht, die Macht ist zerbrechlich. Ich erwähne nicht, daß sie nach Mailand fliegt. Es gehört jetzt zur Freude, Mailand nicht zu erwähnen, und es gehört zur Freude, daß wir sie noch empfinden. Wir setzen die Freude noch fort und halten sie fest. Seit Dole von der Toilette zurück ist, sieht sie perfekter aber nicht schöner aus. Die Luft in der Bar ist heiß, wir sind beide ermüdet, aber die Müdigkeit hat noch keine Ursache in uns selbst. Wir sind müde, weil der Tag sehr anstrengend war und weil die Luft in der Bar verräuchert ist. Die Luft ist entsetzlich verräuchert, sagt Dole, entschuldige, ich habe dir eben nicht zugehört – was hast du gesagt? Ich wiederhole die gesagten Sätze und weiß wieder, was uns bevorsteht (seit ein paar Wochen steht uns etwas bevor, in jeder Nacht, in jedem Gespräch, und ohne Anlaß). Die Bar ist jetzt überfüllt, es werden Gläser über uns hinweg zur Theke gereicht. Dole spricht kaum noch vernehmbar, das Gesicht ist zur Seite gewendet, und ich stelle fest, daß sie wirklich sehr müde ist. Jetzt hat die Müdigkeit ihren Grund in uns selbst. Die Sorglosigkeit ist nicht mehr da, wir stellen es fest, das ist ein schweigsamer Vorgang. Dole blickt vor sich hin und wippt mit dem Fuß, wir geben uns Mühe. Ihre Augen sind trübe geworden, oder abwesend, dunkel. Sie denkt nach und sagt nichts, sie ist nur noch teilweise neben mir. Von der Freude ist nichts mehr vorhanden außer dem Rest, den wir kennen: dem gemeinsamen Willen, auszuhalten und unsere Zigaretten zu Ende zu rauchen.
    Unsere Täuschungen sind kein Erfolg. Einmal mehr ist etwas dazwischen gekommen. Dole weiß, was es ist und behauptet, es sei der Kopfschmerz. Ich weiß, wer es ist und glaube auch an den Kopfschmerz. Wir sitzen nebeneinander und sagen nicht viel, dann sagen wir nichts mehr. Sie versucht noch zu lächeln, spielt mit dem Feuerzeug. Dann ist nichts mehr möglich und wir brechen auf.
    Was war am Anfang?
    Sommer, Zeitverschwendung und langes Leben. Wir hatten uns im Pressehaus bemerkt, kannten uns aber nicht, und wenn wir uns trafen, war das ein Zufall. Die Zufälle waren ohne Bedeutung. Wir trafen uns nicht allein, sondern in Begleitung von Leuten, die wir liebten oder zu lieben glaubten. Wir redeten durcheinander und lachten viel, es gab den Anfang des Lachens und kein Ende. Wir kamen uns großartig vor, sagte Dole, und machten uns dick mit dem, was wir wußten, jeder ein Bildungskuckuck im Nest des andern; wir sprachen über Salzbrezeln und Kierkegaard, neuseeländische Lyrik und Asta Nielsen, Amnesty International, Tennis, Sartre, Zeitungskollegen, Liebe, Picasso, Kochrezepte, Leben in New York und Reisen in Frankreich, und während wir uns ziemlich laut produzierten, streckten wir unsichtbare Fühler aus. Der Sommer war zu hell für die Stadt, die Stadt war zu eng und zu rauchig für soviel Licht, und wir stellten uns vor, wie die Landschaft im Juni war, das Meer, die Obstbaumgärten, ein Picknick im Gras. Das machte uns aufeinander aufmerksam. Wir trafen uns abends in einem Gartenlokal, saßen unter Kastanien und tranken Wein, aber die Nächte verbrachten wir mit den andern. Du hast meine
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