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Licht

Licht

Titel: Licht
Autoren: Christoph Meckel
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Inhalt
    … und wäre jetzt gern bei Dir. Sehr gern würde ich etwas für Dich tun, Dir eine Zeitung mit guten Nachrichten kaufen, Frühstücksbutter aus Deinem Mundwinkel küssen, vielleicht Deine Kniekehlen streicheln, irgendwas. Ich bin fast umgefallen, als Du mich angerufen hast, Deine Stimme so nah und so schrecklich weit weg. Dir zuliebe kann ich alles tun, arbeiten, früh aufstehn, vernünftig sein. Ich bin ganz benommen, wenn Du mich anrufst. Alles ist gut, solange es mit uns stimmt, gleichgültig ob ein Glück dabei herauskommt. Ich brauche kein Glück, ich kann auch ohne Illusion mit Dir lachen. Hast Du mein blaues Feuerzeug bei Dir? Vermißt Du mich? Bist Du wieder in Deiner Wohnung gewesen? Und ob wir zusammen nach San Francisco fahren (gibt es dort Straßencafes wie in Paris)? Ich möchte so gern mit Dir nach San Francisco fahren, chinesische Zeitungen lesen, die Seehunde bellen hören und mich mit Dir auf der Himmelfahrtsbahn fotografieren lassen. Denkst Du noch an das Haus in Bercy-les-Landes und an die vielen Schuhe im Flur? Die Fahrräder im Anbau, der Autofriedhof neben dem Schloß, die Sommernachtsfrösche im Wasserbassin und die vielen, nach Staub und Jod riechenden Brennesseln dort? Und die Nacht, als wir aufwachten, weil es zu regnen anfing, und Du ranntest barfuß die dunkle Treppe hinunter und hinaus in den Regen, weil wir vergessen hatten, das Autodach zuzumachen. Aber es war schon zu spät, der Vordersitz triefnaß, die Zeitungen und Landkarten aufgeweicht. Und wie Du naß zu mir in das Bett zurückgekommen bist! Und als wir zum erstenmal nach Tagen wieder Zeitung lasen im Café an der Küstenstraße, im heißen hitzigen Wind mit dem vielen Staub, aber wir blieben vorm Café sitzen und lasen Zeitung, jeder die Hälfte, und die Seiten flatterten über die Hände und ließen sich nicht mehr richtig zusammenlegen. Dann flog die halbe Zeitung weg und Du ranntest hinter den Seiten her über die Straße, ein Lieferwagen stoppte im letzten Moment, und Du ranntest ziemlich weit auf den Strand hinaus und kamst mit zerknüllter Zeitung ins Café zurück und warst fast beleidigt, weil ich lachte.
    Ich denke daran und nichts fehlt mir. Ich möchte immer an solche Sachen denken, und ich möchte mich immer auf etwas freuen. Ich muß diese Freude empfinden können, wenn ich nicht nur ein Mensch sein soll, der mehr oder weniger einseitig funktioniert. Funktionieren, schon das Wort ist schrecklich. Ich funktioniere nicht. Ich will nichts geschenkt bekommen und ich will nichts auslassen, aber ich will, daß es das jederzeit für mich gibt: Freude, mit oder ohne Grund, mit Dir und allein – vielleicht nur einen Moment lang wie im Februar, als wir von der Party bei Mona nach Hause kamen und Hunger hatten und im Küchenschrank die Rosinen fanden, die ich für die Amseln in Deiner Straße gekauft hatte – erinnerst Du Dich? Wir standen in Mänteln in der Küche und waren todmüde, gleichzeitig überwacht, auf verrückte Weise unruhig und glücklich und hatten auf einmal Lust, die Rosinen selber zu essen. Wir aßen die Rosinen am Fenster und hörten die Amseln draußen im Schnee, in der Morgendämmerung, und dann wolltest Du keine Rosinen mehr und standest bloß da und sahst mich an, ununterbrochen, direkt, wie Du mich noch nie angesehn hattest – und daß Du mich dann in die Arme genommen hast! Sag mir, daß wir lebendige Menschen sind. Schreib mir, nein schreib mir nicht gleich. Zuerst ruf mich an, ich warte so sehr auf…

Ich fand den Brief im Laub auf der Terrasse und meine Enttäuschung ist furchtbar, etwas Verzehrendes.
    Wie kommt dieser Brief auf die Terrasse. Ich kann mir denken, daß Dole ihn verlor, als ich Laub und Papier im Garten verbrannte, das war vor drei Tagen. Der zerknüllte Bogen fiel aus dem Papierkorb und geriet zwischen die Blätter. Es ist auch möglich, daß sie nachts ihren Hausschlüssel suchte und dabei den Brief aus der Tasche verlor; vermutlich aber aus ihrem Papierkorb. Papierkorb. Papierkorb. Was sich in einem Papierkorb befindet ist kaum noch vorhanden, es ist schon beinahe nichts, es ist zerrissen. Ich vergesse jeden Gegenstand, sobald ich ihn in den Papierkorb geworfen habe. Warum ist dieser Brief aus dem Papierkorb gefallen. Ich nahm das Blatt aus dem Laub, um es wegzuwerfen und erkannte Doles Handschrift in violetter Tinte, die sie benutzt, seit wir uns kennen, las ohne Absicht den Teil eines Satzes, der zusammenhängend über die Zerknitterung lief
    Und wie Du naß zu mir
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