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Licht

Licht

Titel: Licht
Autoren: Christoph Meckel
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Wunderbare verloren sein soll. Ich werfe meine Hoffnung nicht einfach weg. Durchaus möglich, daß wir nie nach Tabasco kommen werden. Möglich, daß wir hinkommen werden und daß es nur wieder das übliche ist, ein Haufen Staub und Unglück oder ein Alptraum. Möglich, daß ich allein nach Tabasco komme und nicht weiß, was ich dort mit mir anfangen soll. Oder daß du alleine hinkommst und dich fragst, wie du von so etwas träumen konntest. Möglich, daß mir die eigenen Vorstellungen fragwürdig werden, verrückt, verrückt. Du bezeichnest mich als verträumte Nachtigall und wir bleiben zu Hause. Möglich, alles möglich, aber es ist auch möglich, daß ich den Ort noch finde, der nicht zerstört ist. Vielleicht sind meine Erwartungen falsch, ich bin vielleicht nie wirklich erwachsen geworden, aber wenn das so ist, dann bleibe ich gern ein Kind. Und die Vorstellung, daß es überall Menschen gibt, lebendige Menschen, die etwas tun, Menschen, die nichts auf sich sitzen lassen und niemals aufgeben werden, starke Menschen und schöne Gesichter – das ist doch die Hauptsache. Und solange ich den Ort nicht gefunden habe, sind meine Illusionen Privatsache und selbst dein Lachen kann nichts daran ändern.
    Und sie sprach weiter von Orten, die sie nicht kannte. Später, später war ein Leben lang möglich. Es gab noch die Küste von Cabo Raso und die kanadischen Ströme mit den Holzflößen. Es gab noch den Golf von Alaska und den arktischen Ozean.
    Sie hat am Abend ein paar Stunden Zeit.
    Wir treffen uns in der Pariser Straße. Sie kommt im offenen Mantel durch den Schnee, winkt mit schwarzem Handschuh und wirft sich in meine Arme. Ich halte sie sekundenlang in die Luft und stelle sie wieder auf das Trottoir. Ihr Gesicht ist feucht und kühl, die Umarmung unbeholfen im Wintermantel. Wir sind uns einig, überwältigt von Freude, das haben wir beide nicht erwartet – eine fast wahnsinnige Begeisterung. Dann lassen wir uns los und sehn nach, wohin ihre Tasche geraten ist.
    Wir gehn durch die weiße Dunkelheit, sie knöpft ihren Mantel zu, denn es ist kalt. Ich halte die Tasche, solange sie den Gürtel sucht; es ist unglaublich, wie sehr ein Gürtel wärmt, wie ein Ofenrohr um den Bauch, sagt Dole. Sie hängt sich mit beiden Händen bei mir ein, geht angelehnt, fast fliegend neben mir, ich soll es spüren. Die Freude ist da und wird bleiben, ihr Lächeln ist noch dasselbe und sucht meine Augen. Es kann nichts passieren, wir sind unschlagbar. Unschlagbar sind wir schon lange nicht mehr gewesen, so leicht im gemeinsamen Schritt, im gemeinsamen Lachen. Die nächtlichen Trottoire sind hell von Gesichtern, Schneeflocken, Neon. Wir gehn durch die Beleuchtung und sind uns einig.
    Später sitzen wir in einer Bar. Geruch von Kälte kommt zu mir herüber, ihr Gesicht ist nah, ihre Stimme zärtlich. Ich lade dich ein, du hast mir versprochen, daß ich dich einladen darf! Dole lädt mich ein und freut sich darüber. Wir suchen Zigaretten und Feuerzeug und legen sie neben die Handschuhe auf die Bar. Was hast du heute gemacht? Ja, was habe ich heute gemacht. Sie hat in der Redaktion einen Artikel geschrieben. Andrea (wer ist Andrea?) hat ihren Schreibtisch zur Verfügung gestellt. Mit ihr und ein paar Kollegen ist sie essen gegangen, wie immer im Espresso um die Ecke, das ist dort nicht großartig, geht aber schnell. Sie hat zehn Anrufe erledigt und im Archiv ein paar Auszüge für Kopenhagen gemacht, im Februar muß sie wieder nach Kopenhagen, Amsterdam wäre schöner; als sie Kopenhagen hörte, hat sie sich unwillkürlich Amsterdam vorgestellt, dort sind wir vor ein paar Jahren gewesen, wie lange ist das her – drei Jahre? vier Jahre? Erinnerst du dich an unser Hotel, das Hühnerleiterhotel mit den vielen Negern! Blauschwarze, brüderliche Riesen, man stolperte über Neger und Treppenstufen und wurde beim Frühstück zum Tanzen fortgeschleppt. Was machten die vielen Neger in dem Hotel? Alle in guten Anzügen, bunten Ringelsocken, gewichsten Schuhen. Was hatten sie vor? Stadtrundfahrt und verschiedene Puffbesuche? Kannst du dich erinnern, was die Neger dort machten? Nichts ist jetzt wichtiger als die Frage, was die Neger dort machten, wie viele es waren und woher sie kamen. Eine Schiffsladung aus dem Senegal? Seeleute aus Papagenien oder Volksschullehrer aus Sagapadambre? Ein Zuhälterclub auf Weltreise? Rätselhaft. Wir stellen uns Amsterdam vor, die östlichen Grachten an einem Sonntag im Herbst, Vogelschreie zwischen den Mauern und
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