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Licht

Licht

Titel: Licht
Autoren: Christoph Meckel
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aus der heißen Küche, brachte Wein und setzte sich zu uns an den Tisch. Denkst du daran? Und der Blick auf das Meer am Morgen danach, als der Sturm immer heftiger wurde und die Schaumkämme in die Bucht rannten, am Felsen zerplatzten, weiße Explosionen, Schaum in der Luft, Sommerschnee aus dem Meer, der am Cap in die Höhe flog und gegen die runde weiße Mühle spritzte. Und unser breakfast im Wind auf der Terrasse. Der Nescafe flog aus dem aufgerissenen Tütchen, kam nicht in die Tassen, flatterte weg, und du holtest neue Tüten aus dem Restaurant, immermal wieder ein paar neue Tüten, bis wir das besser machten, meine Idee: zuerst das Wasser in die Tasse und dann das Pulver, die Hälfte flog weg – hellbrauner Windkaffee –
    Es war allerhand, daß das Meer hier sauber war, durchsichtig grün und gläsern bis auf den Grund, und der Wind nicht nach Abgas sondern nach Thymian roch. Wir gingen hinaus auf die Landzunge, standen breitbeinig gegen den Wind, mit halb geschlossenen Augen im Sand, der vom Strand heraufwehte. Wir sahen die Inseln in der Meerstraße schwimmen (an ruhigen Tagen Schildkröten und Delphine) und sahen das Grasland zwischen alten Mauern, wo Maultiere weideten Tag und Nacht, mit zusammengebundenen Beinen, ohne Geräusch. Das Hafergras zischte, Kornfelder am Meer, vom Wind gescheitelt, gebeugt und geschüttelt vom Sturm, und die weißen Fähren dröhnten in die Bucht und der Wind, Fünf-Tage-Wind und die fliegenden Haare, Zigarettenanzünden im Wind und Doles Strohhut, der den Hang hinunterrollte wie das Käserad im Märchen.
    Es sieht so aus, als wären wir noch, was wir waren. Es sieht sogar für uns selber noch manchmal so aus. Ich mache sie aufmerksam auf den Schnee vorm Fenster, sie nimmt ihn noch wahr und teilt ihre Eindrücke mit. Wir treffen uns noch in unseren Wohnungen, es gibt noch English Tea und Irish Coffee, es gibt noch gemeinsame Spaziergänge über die Brücken, den Genuß des Regens, die Bars am Nachmittag und es gibt noch den Wein, die Nacht und das Telefon. Es gibt noch die Umarmung und den Versuch, aufmerksam zu sein und nicht zu verletzen. Sie nimmt mir noch eine Wimper aus dem Gesicht, und ich wünsche mir etwas, ohne den Wunsch zu verraten.
    Es zeigt sich jetzt, daß wir gute Gewohnheiten haben. Sie verhindern, daß wir uns selbst zu Gespenstern werden. Sie sagt immer noch nichts und ich warte immer noch, daß sie mir etwas sagt. Sie geht mehrmals am Tag zugrunde, taucht aber wieder auf mit frischem make up. Sie ist zur Freude entschlossen, ihr Lächeln ist noch immer entwaffnend, mir zuliebe ist alles in Ordnung, bis auf irgendeine Kleinigkeit, mal ist es der Kopfschmerz, mal ist es der Stress im Beruf. Immer noch glaubt sie, ich wisse von nichts. Sie ist noch immer davon überzeugt, mit ihrem Geheimnis fertig zu werden, allein. Wir sind füreinander noch nicht zu Gespenstern geworden, aber wir ahmen uns selbst und die Hoffnung nach, das ist ermüdend. Die Nachahmung der Sorglosigkeit wird zur Grimasse. Es ist vorauszusehn, daß die Täuschung zusammenstürzt, die Geduld sich erschöpft. Nichts mehr ist wirklich und wie es von uns gelebt wurde in den Jahren, aber wir tun immer noch dasselbe. Wir gehn am Abend über die Brücken und essen, wie früher, spät zur Nacht. Wir begehn eine Unwirklichkeit nach der andern. Wir setzen das Leben noch fort.
    Unsere Telefongespräche haben sich verändert. Andere Tonart, längere Pausen. Wollen wir uns heute abend treffen? Ja, wenn du möchtest. Ich möchte, und du? Ich möchte auch. Also treffen wir uns um halb neun, soll ich dich abholen?
    Du brauchst mich nicht abzuholen, das ist doch viel zu umständlich. Aber warum soll ich dich nicht abholen! Nicht nötig, du brauchst mich wirklich nicht abzuholen, wir treffen uns in der Pariser Straße, dort kommst du bequem mit der U-Bahn hin. Also um halb neun in der Pariser Straße – soll ich dich wirklich nicht abholen? Nichts mehr ist selbstverständlich.
    Sie wollte an Orten leben, die sie nicht kannte. Sie stellte sich vor, daß wir das später tun würden, wenn wir älter waren und aus dem Stress heraus. Später, wenn wir endlich Zeit genug hatten, würden wir nach Mexiko fahren und dort ein paar Monate oder Jahre leben. Wir würden ein Haus in Guanajuato mieten und über die unerhörten Hochebenen fahren, aber nicht als Touristen, nicht in einem amerikanischen Schlitten, sondern im eigenen Wagen mit mexikanischer Nummer. Wir stellten uns vor, dort oder in Ägypten zu leben von dem
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