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Licht

Licht

Titel: Licht
Autoren: Christoph Meckel
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Freunde kennengelernt, sagte Dole, ich habe viele Freunde gehabt, aber ich habe sie nicht miteinander verglichen und ich vergleiche sie nicht mit dir. Es ist mein Glück, daß sie unvergleichbar sind. Für ein paar Nächte ist jeder einzig gewesen. Es kommt aber nicht darauf an, wer sie waren, sondern was sie für mich gewesen sind. Ich habe dir das nie gesagt – wer sie waren und was sie für mich gewesen sind und was es mir bedeutet hat, zu lieben und geliebt zu werden. Ich habe dir von meinen Bekannten erzählt und warum sie sich Bärte wachsen lassen oder abrasieren; ich habe dir von meinem Beruf erzählt, von meinen sechs Wohnungen bevor ich dich kannte; ich kann dir heute von meiner Kindheit erzählen und ich kann dir fast jede Verzweiflung anvertrauen, aber ich kann dir nichts von meinen Geliebten erzählen. Ich tue dir auch nicht den Gefallen zu behaupten, ich hätte sie weniger geliebt als dich oder hätte sie im Grund überhaupt nicht geliebt. Und ich wäre enttäuscht, wenn du behaupten würdest, du hättest keine Frau geliebt wie mich. Ich habe jeden geliebt, mit dem ich schlief, und meine Geheimnisse sind nicht bescheiden.
    Für einen Namen war das noch zu früh. Dole hieß Julia und es war reizvoll, nichts von ihr zu wissen. Nichts voneinander erfahren zu wollen war die Voraussetzung für eine geflügelte Nebensache. Es genügte, einander sympathisch zu finden und ähnliche Uberzeugungen festzustellen – eine Absicht war nicht dabei. Schmetterlingskuß und Adieu bis zum nächsten Mal! Dann verabredeten wir uns häufiger und freuten uns darauf. Beiläufig stellten wir fest, daß wir beide uns freuten. Es war jetzt nicht mehr gleichgültig, wo wir uns trafen, wir suchten Plätze, die uns beiden gefielen, Pavillons im Park oder alte Friedhöfe, Restaurants mit Musik und Terrasse am See. Unsere Spaziergänge wurden länger, es war die Zeit der ersten Bezauberung. Ich kannte schon verschiedene ihrer Parfüms und hatte mir ihre Telefonnummer notiert. Wir dachten schon aneinander und schwiegen uns aus. Zum erstenmal bemerkte ich ihre Augen, den feuchten Schimmer von Salz und Kohle, ihre schwarzen Haare im Regen und ihren Mund. Ich spielte mit ihren Fingern auf dem Cafetisch und liebte schon ihre zu kleinen Füße. Sie kam im geliehenen Wagen zum Rendezvous und winkte mit schwarzem Handschuh, ich liebte den Handschuh. Es war schön, die Jacke um ihre Schultern zu legen, wenn wir nachts aus dem Kino kamen, noch schöner, ihre Gestalt im Arm zu halten, wenn sie auf dem Spaziergang fror. Zum erstenmal erklärte ich, sie sei schön, und sie hörte es gern. Wir waren noch nicht aufeinander angewiesen und glaubten noch, uns jederzeit trennen zu können. Kuß und Lebewohl ohne Steinerweichen – das war noch möglich; Trennung wäre ein zu starkes Wort gewesen. Es genügte, das Angenehme aneinander zu erfahren und mit dem Gedanken an eine Affaire zu spielen, überhaupt war das alles eine Sache auf Zeit. Wir haben uns eingewickelt, sagte Dole, du hast mich verzuckert und in den Himmel gehoben. Wir haben Filou und Filouine gespielt, und ich war überzeugt, bei dir damit durchzukommen. Wir waren verschwiegen, indiskret, kaltherzig, uneinsichtig, ahnungslos, selbstgerecht, fordernd, mißtrauisch, untreu und hungrig auf Freude – nichts, was wir nicht wenigstens einen Moment lang waren. Wir liebten uns, aber schliefen noch mit den andern, und wenn wir uns nachts im Wagen küßten, war das nur eines von vielen möglichen Spielen. Unser Sommernachtleben, sagte Dole, du und ich von einem Fest zum andern. Zwischen uns und der Freude zu lieben war kein Gedanke, Verzweiflung oder Hoffnung betrafen uns nicht, und wir waren noch immer verliebt in die Sorglosigkeit. Unvorstellbar, den Leichtsinn aufzugeben. Wenn wir nicht verabredet waren, verhalf uns der Zufall zu einem Rendezvous. Eine Party ohne Julia war nicht viel wert, aber wenn sie auf einer Party erschien, setzten wir das gemeinsame Lachen fort; wir versteckten Flaschen in einem Schrank, damit wir morgens noch was zu trinken hatten; wir fuhren für eine Stunde im Wagen weg, gingen im Regen spazieren und redeten mit Honigstimme Glück und Unfug. Ob die andern merken, daß wir nicht da sind? Die andern merken es oder merken es nicht. Sie spielten keine Rolle in unserem Leichtsinn. Nichts gegen die andern, aber wir brauchten sie nicht.
    Dann trafen wir uns täglich, aber nicht länger unter Leuten sondern allein, nicht mehr im Café sondern in einer Wohnung, nicht nur für
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