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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer
Autoren: Hans Ernst
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Kreisstadt und ließ ihn einschreiben, damit er ja nicht verloren gehe.
    Der Gedanke aber, dass Anna wirklich eine glückliche Frau werden könnte, ließ ihr keine Ruhe, denn wenn sie es recht bedachte, war sie selbst es nicht. Der Goldene Grund war kein ruhender Pol für sie geworden, sondern mehr eine Quelle der Unrast, der Unruhe und hektischer Betriebsamkeit. Ihre Seele war gerade um diese Zeit von einem Unfrieden zerrissen, weil sie immerzu bedenken musste, dass Anna nun doch das größere Los gezogen hatte. Früher freilich, da war ihr der flotte Matthias Rauscher begehrenswerter erschienen als der gutmütige Narr aus der Sägemühle, dem man jedes Wort hatte abbetteln müssen. Heute war das anders. Thomas Staffier war aus seiner Schweigsamkeit herausgewachsen und hatte sich zu einem Mann entwickelt, dessen Name weit über das Tal hinaus Klang und Bedeutung hatte. Verglichen mit ihm war Matthias nur mehr ein Schatten, ein von Habgier zerfressener Jungbauer, der vergebens nach dem Frieden suchte, der im Goldenen Grund über zwei Jahrhunderte auf dem Haus gelegen hatte.
    Wenn die Cilli vom oberen Stockwerk zum Sägewerk hinsah, wollte sie schier der Neid auffressen. Ausgerechnet vor ihren Augen saß nun die verhasste Schwägerin und sonnte sich im Reichtum. Sie war zweifellos eine Frau geworden, die von der weißen Villa aus wahrscheinlich mit großer Schadenfreude in den Goldenen Grund herübersah, voller Hass und voll Genugtuung.
    Die Emma wusste zu berichten, dass der Sägemüller sie auf Händen trage, und das gar nicht einmal bildlich gesprochen. Als sie einmal die Wäsche in die Sägemühle brachte, habe sie es mit eigenen Augen gesehen, wie der Thomas Staffner seine junge Frau auf die Arme genommen und über die Schwelle des Wohnzimmers getragen habe, obwohl der eine Arm nur künstlich war. Des Weiteren wusste die Emma zu berichten, wie dort die Zimmer eingerichtet waren. Eine große Stube im Bauernstil, eine modernes Wohnzimmer mit schweren Polstermöbeln, ein Schlafzimmer, so groß wie das Nebenzimmer beim »Apostel«-Wirt, zwei Kinderzimmer, zwei Gästezimmer, ein Bad mit himmelblauen Fliesen.
    Die Emma hatte keinen Grund aufzuschneiden, aber im Goldenen Grund erzählte sie diese Dinge mit Wonne. Die Cilli lachte zwar dazu, aber sie wurde gelb vor Neid.
    »Und was tut sie den ganzen Tag?«, fragte sie. »Wenn sie sogar die Wäsche aus dem Haus gibt, hat sie doch überhaupt nichts mehr zu tun.«
    »Vormittags ist sie vollauf beschäftigt. Sie kocht doch auch für die alten Sägemüllers mit und hält das kleine Nebenhaus instand, in dem die Alten wohnen. Am Nachmittag geht sie ein bissl spazieren oder liest.«
    Das letztere stimmte zwar nicht ganz, denn Anna war mit dem großen Haushalt vollauf beschäftigt. Manchmal nahm Thomas sie auch mit über Land, wenn er auf Holzhandel fuhr.
    »Ich weiß nicht«, sagte die Cilli spitz. »Mir war nicht wohl, wenn ich nicht meine Arbeit hätt von früh bis spät. – Schimpft sie recht über uns?«
    »Über dich meinst?« Die Emma schüttelte den Kopf. »Ich hab noch nichts gehört.«
    »Na ja, das sagst du uns halt nicht. Aber ich kann es mir ja denken.«
    Gerade hier aber irrte die Cilli am meisten. Anna verlor nie ein Wort über die Verwandten im Goldenen Grund. Sie hatte sich längst innerlich von ihnen gelöst.
    Ihr Leben war schön geworden und sie wartete in freudiger Erregtheit auf ihr erstes Kind. Seit sie schwanger war, war eine ruhige Ausgeglichenheit über sie gekommen. Nichts mehr konnte sie aufregen und der verachtende Hass, der ihr Herz gegen den Bruder und die Schwägerin so verhärtet hatte, verlor an Kraft, je näher der Geburtstermin rückte. Sie wurde noch schöner und in tiefer Dankbarkeit las sie Thomas jeden Wunsch von den Augen ab, weil er sie mit seiner grenzenlose Liebe überschüttete.
    Das Sägewerk Staffner hatte jetzt etwa achtzig Arbeiter und Angestellte. Aber niemand unter all den vielen sagte Sägemüllerin zu ihr. Sie war die Frau Staffner. Und Thomas war der Chef.
    Aber nicht nur sie war eine glückliche Frau geworden. Noch viel glücklicher war Thomas. Seine Liebe war von einem wundersamen Gleichmaß getragen. Nie hörte sie ein böses Wort von ihm. Und so warteten sie voller Freude auf ihr Kind.
    Im Goldenen Grund hatten sie alles, was eines Menschen Herz begehrte. Nur eines blieb ihnen versagt, ein Kind. Sonntag, in der Kirche, passierte es manchmal, dass Cilli die Schwägerin ganz vorn im Betstuhl sah, und sie verglich dann mit
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