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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer
Autoren: Hans Ernst
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brennendem Neid ihre kränklich wirkende Magerkeit mit der gesunden Schönheit der Schwägerin.
    Und als es dann ins Jahr ging, lag ein kräftiger Stammhalter in der Wiege. Im Jahr darauf kam ein Mädchen dazu. Bei diesen beiden sollte es zunächst einmal bleiben.
    Anna war von einer unglaublichen Schönheit. Kamen Vertreter oder Industrielle ins Haus, dann zollten sie dieser hoch gewachsenen Frau ihre unverhohlene Bewunderung. Und es kamen derer viele, denn Thomas vergrößerte sein Werk immer noch. Ein halbes Dutzend schwerer Lastwagen lieferten die Schnittware ins Rheinland und bis zur Küste hinauf. Aber jedem, der es hören wollte, erzählte er voller Stolz, dass ihm erst diese Frau den Aufschwung geschenkt habe.
    Die Zeit ging dahin, ein Jahr gab dem anderen die Hand; die Zeit verging und zog heimliche Spuren von Licht und Schatten nach sich und brachte neue.
    So stieg ein Junitag voller blühender Herrlichkeit aus dem Meer der Zeiten. In stiller Schönheit standen wieder einmal die Wiesen und die grünenden Felder. Durch die singende Stille dieses Sommermorgens flogen windverwehte Blütenblätter und die Berge waren von jenem zarten dunstigen Blau behangen, das darauf hindeutete, dass es noch länger so schön bleiben würde.
    Anna Staffner stand auf der Terrasse an der Südseite
    des Hauses, hatte die Hand gegen das blendende Sonnenlicht über die Augen gelegt und schaute nach den beiden Kindern aus, die inzwischen drei und vier Jahre alt geworden waren. Sie spielten unten an der Riss, die derzeit wenig Wasser führte, mit einem selbst gebastelten Floß. Sie wollten damit eines Tages bis ans Meer hinauffahren, von dem der Vater ihnen manchmal erzählte, wenn er von einer seiner weiten Reisen zurückkam.
    Die Geräusche des Sägewerks drangen gedämpft herüber. Nur manchmal hörte man das Poltern von Baumstämmen. Dann war wieder Stille bis auf das feine Singen der Sägeblätter.
    Thomas war am Morgen über Land gefahren, um eine größere Menge Holz einzukaufen. Anna konnte von hier aus nicht hinübersehen ins Werk und so sah sie auch nicht, dass ein schwerer Wagen langsam über die Brücke fuhr und vor dem Wohnhaus hielt.
    Die Mädchen im Büro reckten die Hälse nach dem schnittigen Wagen und nach dem Mann, der jetzt ausstieg und auf das Haus zuging. Er trug einen hellgrauen, gut sitzenden Anzug, war groß und schlank. Ein ausländischer Vertreter vielleicht, dachten die Mädchen. Nun, sie würden ihn ja noch zu sehen bekommen, denn er würde ja sicher mit dem Chef herüberkommen, um in das kleine Büro zu gehen, wo alle Verhandlungen stattfanden.
    Sie wussten nicht, dass der Chef nicht da war.
    Aus ihren Gedanken fuhr Anna auf, als sie den summenden Ton der Haustürklingel hörte. Sie brauchte nicht hinauszugehen, um zu öffnen. Man konnte dies mit einem Druckschalter vom Wohnzimmer aus erledigen. So früh am Tag bekam sie nie Besuch. Vielleicht war es Emma, die die Wäsche abholen wollte. Oder der Mann von den Überlandwerken, der den Zähler abzulesen hatte.
    Wenige Minuten später stieß sie einen leichten Schrei aus, als der Fremde über die Schwelle des großen, hellen
    Wohnzimmers trat. Auf den ersten Blick erkannte sie ihn wieder. Unwillkürlich machte ihre Hand eine Bewegung in Richtung Herzen, das ein paarmal ganz wild aufzuckte. Dann wurde es ruhig, ganz ruhig.
    »Oliver…« stammelte Anna schließlich, wollte lächeln und konnte es nicht. Dafür fiel es ihm weniger schwer, obwohl es auch ein fremdes Lächeln war, das er ihr zeigte.
    Oliver hatte sich kaum verändert, vielleicht war er im Gesicht ein wenig stärker geworden. Nur kam er ihr in Zivil jetzt ein wenig fremd vor.
    »Ja, ich bin es, Anna. Sei nicht böse, aber ich habe noch einmal in meinem Leben hierher kommen müssen. Ich bin schon seit gestern hier. Gestern war ich oben auf der Niederalm. Alles ist noch so wie damals, nur der Jungwald ist etwas gewachsen und du bist nicht mehr da gewesen.«
    Inzwischen hatte sich Anna gefasst. »Oliver – dass wir uns noch einmal sehen.«
    Sie fühlte selber, dass sie etwas Plattes gesagt hatte, aber es fiel ihr nichts anderes ein.
    »Ich bin gestern auch bei der Burgl gewesen«, sagte er.
    »Dann wirst du ja alles wissen, Oliver.«
    »Vielleicht nicht alles. Dass du heiratest, hast du mir allerdings selber geschrieben.«
    Anna verlor alle Farbe. »Ich? Oliver, was sagst du da? Ich hatte doch deine Adresse gar nicht. Du hast mir doch nie geschrieben!?«
    »Zweimal habe ich dir geschrieben, Anna.
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