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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Palace. Ich besorgte einen zweiten Sessel. Dabei bemühte ich mich um Fassung, dachte an Anke, meine verstorbene Frau, während die Revuemädchen den Appetit der Männer langsam anheizten.
    Irritiert stellte ich fest, dass hier auch viele Frauen in Männerbegleitung ihr Vergnügen suchten.
    Während ich fernab am Tresen mit meinen Blicken nach meinem Engel Ausschau hielt, dachte ich plötzlich an meine Schule. Ich hatte mein Bankkonto geplündert und saß hier wie einer, der zu den Stars gehörte, in einem teuren Amüsierschuppen unter Prominenz und wusste, dass mein Direktor alles in die Wege leiten würde, mir ein Disziplinarverfahren anzuhängen.
    Auch mein ostfriesischer Oberschulrat würde sich auf die Anklageseite schlagen, da die sogenannte Fürsorgepflicht von ihm so ausgelegt werden würde, dass der Strafe verdient hat, der die Spielregeln missachtet. In Zweifelsfällen gegen den Angeklagten!
    Ich musste lachen über die Kleingärtnermentalität meines Chefs und seiner nach Gebetbuch und Partei ausgesuchten Berater, die heute oder morgen, ich fand mich in den Daten nicht mehr zurecht, ihren großen Betriebsausflug unternahmen.
    Ich sah ihn vor mir im Bus stehend, für alle ein joviales Lächeln auf den Lippen, den Corvit in kleinen Gläschen spendierend, als vergösse er geweihtes Wasser.
    Ziel der Fahrt waren die Windmühlen, die Bauern vor lauter Angst vor der Technik in die Nachwelt gerettet hatten.
    An seinem Geburtshaus würde der Bus anhalten, und mein Direktor würde dem Kollegium zeigen, wo sein Schaukelpferd gestanden hat, und sie zum Backhaus führen, aus der seine Mutter mit angesengtem Schieber die Brote gezogen hat. Meine Kolleginnen und Kollegen würden mit »Oh« und »Ah« auf die gusseiserne Platte starren.
    Die Teetafel mit Butterkuchen, der auch bei Beerdigungen herhalten muss, würde dann unter Eichenbalken in Uppersum im Alten Deichgrafen zum Höhepunkt schulischer Geselligkeit gereicht werden.
    Ich bin selbst Ostfriese, ohne je im Muff erstickt zu sein. Aber nun stand ich in einer Welt, die ich jenseits der Vorstellungen meines Direktors einordnen musste.
    Ich schlürfte meinen Pfaffenberger Höllentor und begriff, dass ich mich selbst im konventionellen Denken verstrickte.
    Inga blieb meine Tochter, egal was sie nun trieb oder getrieben hatte.
    Das Lokal barst fast unter der erotischen Spannung, und ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn Gäste sich ebenfalls entkleidet hätten. Aber das lag an der Gewohnheit und dem Grad der Abstumpfung, in dem sich der Jetset stets befand.
    Lächelnd kam mir die Schöne entgegen, setzte sich zu mir in den Sessel und trank mit funkelnden Augen ihr Glas leer.
    Ich füllte ihr das Glas und sagte: »Trink nur, mir kommt es auf eine Flasche nicht an.«
    Der Engel war aufreizend, dennoch für mich tabu, da ich kein Abenteuer suchte, sondern meine Tochter.
    »Bulle?«, fragte sie, als sie erneut das Glas hob.
    Ich musste alle Kraft zusammennehmen, ihr nicht an den hübschen Hals zu fahren.
    Konnte Inga so weit gesunken sein, dass man den recherchierenden Vater für einen Bullen hielt?
    »Nein, Vertreter«, flüsterte ich ihr zu, griff zum Pfaffenberger Höllentor und begann zu ahnen, dass ich irgendwann in der Tat durch eine sich düster vor mir auftuende Hölle musste.
    Dem schönen Körper meines Oben-ohne-Engels gönnte ich keinen Blick mehr, ihr Flittertuch bedeckte das, was mich jetzt am wenigsten interessierte.
    Ich zog das Bild meiner Tochter erneut hervor, darauf achtend, dass niemand Zeuge wurde. Der Hundert-Euro-Schein lag unter dem Foto.
    »Was ist mit dem Mädchen?«, fragte ich.
    Die Schönheit prostete mir zu, als hätten wir uns gerade verlobt, und flüsterte: »Eine Studentin wie ich. Man beobachtet uns!«
    Mir wurde bewusst, dass ich mein Gesicht heben musste und bemühte mich um ein strahlendes Lächeln, und als hätte ich es geahnt, blitzte es auf und ein Fotograf verneigte sich vor den Gästen des Nachbartisches, während ich den Eindruck hatte, er hätte nicht sie, sondern uns geschossen.
    »Wo ist sie, ich muss sie dringend sprechen!«, sagte ich wie ein Schauspieler mit breitem Lächeln.
    Der Oben-ohne-Engel griff zur Flasche, teilte ihren Inhalt gerecht auf beide Gläser auf, legte mir den nackten Arm um die Schultern, neigte ihren Kopf an mein Gesicht und hauchte: »Wir sind Animiermädchen, verdienen gutes Geld. Gelegentlich gehen wir auch mit einem ins Bett, aber nur wenn er uns gefällt! Mein Süßer, mit dir würde ich es
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