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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Schulter fühlte. Ich fuhr herum und fand zurück in die Wirklichkeit. Eine alte, gebeugte Frau schleppte einen gefüllten Wassereimer und bat mich mit frecher Altweiberstimme, ihr das Fahrrad aus dem Wege zu räumen.
    Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, beseitigte das Hindernis und schaute der Alten nach, die im abgetragenen langen Rock an den Gräbern vorbeischlich, als gäbe es irgendwo am Ende des Friedhofes etwas, was irdisches Leid erklärbar machte.
    Mein Mund war trocken, mein Inneres aufgewühlt und meine Gedankenwelt verwirrt.
    Zwischen Traum und Wirklichkeit bestieg ich mein Fahrrad.
    Den Pfarrer aufzusuchen wäre das Letzte für mich gewesen. Niemand würde mir glauben, dass ich Anke gesehen hatte! Ich selbst sträubte mich gegen die Wahrheit und konnte mein Erlebnis nur als eine Aufforderung verstehen, mich um Inga, meine Tochter zu kümmern.
    Die Dämmerung nahm mich auf und schützte mich vor Neugierigen. Aufgeregt radelte ich meinem Bungalow entgegen. Ich stellte das Fahrrad ab, hastete in die Wohnung und packte eilig einige Wäschestücke in eine Reisetasche. Ich holte den Rasierapparat aus dem Bad, entschied mich im Schlafzimmer für Lederjacke und Cordhose und entschloss mich, nicht die Bahn zu nehmen, sondern mit dem Wagen zu fahren, weil ich in einer Großstadt wie Berlin beweglich sein musste.
    Ich lud das Gepäck in meinen Golf, durchschritt noch einmal wachsam das Haus und zog die Stecker aus den Steckdosen, falls sich in meiner Abwesenheit Gewitter über meinem Anwesen entladen sollten.
    Ich dachte an meine Schule und meine Pflichten als Beamter, verschloss die Haustür und fuhr los. Mein Direktor wohnte in einem ererbten Stadthaus in der Nähe des Marktes. Neben der herrschaftlichen Treppe vertrockneten die letzten lila Blüten übermannshoher Rhododendronsträucher.
    Sein Blick und damit seine todsichere Kritik an meinem Vorhaben blieben mir erspart. Seine Frau war es, die mich wie einen Fremden betrachtete, mich die hierarchische Trennung der Gehaltsstufen spüren ließ und mir hannoverisch lispelnd kundtat, dass ihr Mann an einer Sitzung des Heimatvereines teilnehmen musste. Mit ernstem, verknöchertem Gesicht wiederholte sie den Inhalt meines Anliegens.
    »O ja, Sie müssen dringend nach Berlin, ich werde es meinem Mann ausrichten.«
    Die herrschaftliche Tür klappte zu, und ich wusste, dass ich jetzt einen Richter für mein Tun gefunden hatte.
    Ich versuchte erst gar nicht, meine Gedanken zu ordnen, um abzuwägen zwischen innerlicher Pflicht und beamtenrechtlichen Ansprüchen.
    Ich kannte nur das eine Ziel: Berlin!
    Dort musste ich meine Tochter Inga suchen und finden, koste es, was es wolle!

Kapitel 1
     
    Über Berlin spannte sich ein blauer Frühsommerhimmel. Ich musste meine gesamte Konzentration dem Verkehr widmen, denn als Landmensch fühlte ich mich unwohl auf den breiten Zubringerstraßen.
    Das kolossale Kongresszentrum drückte auf meine Stimmung, und der immer wieder auftauchende Gedanke, dass meine Schüler in Kürze vergeblich vor ihrem Klassenzimmer auf mich warten mussten, während ich vielleicht einer riesigen Einbildung zum Opfer fiel, bedrückte mich.
    Ich lenkte den Golf den Hinweisschildern nach in die City. Mein Ziel war der Kurfürstendamm, das Herzstück Berlins.
    Als ich schließlich erschöpft unter einem schattigen Kastanienbaum meinen Wagen in eine Parknische rollen ließ, blieb ich lange mit geschlossenen Augen, den Kopf auf das Steuer gelehnt, sitzen und wartete auf irgendein Zeichen.
    Ich fiel in einen langen Schlaf, aus dem ich ohne Traumerinnerungen oder Hinweise meiner verstorbenen Frau wieder aufwachte.
    Durch die Scheiben meines Golfes beobachtete ich, dass Menschen Koffer aus dem Haus trugen, vor dem ich zufällig geparkt hatte.
    Ich blickte auf die schlanke Fassade und las Hotel Michels.
    Zufall, dachte ich. Entschlossen verließ ich meinen Wagen, fand eine dicke, watschelnde Frau, die aus einem Büro kam. Es war die Chefin, Frau Michels, bei der ich ein Zimmer für zwei Nächte buchte.
    Nachdem mein Geld auf dem schwarzen Mahagonitisch vor der Madam lag, weil ich unüblicherweise auf Vorauszahlung bestanden hatte, zählte ich erschrocken den Rest. Mir blieb nur noch Wechselgeld.
    Das Zimmer wurde gerade hergerichtet und das Bett frisch überzogen.
    Ich holte das Gepäck, brachte es auf mein Zimmer. Mein Golf stand gut und fürs Erste wollte ich mich der öffentlichen Verkehrsmittel bedienen.
    Meine unüberlegte Geldknappheit trieb mich
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