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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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zurück zu Frau Michels. Sie sah mich seltsam an, als ich ihren Bürofrieden störte und sie nach der Adresse der Berliner Industrie- und Handelsbank fragte, von der ich nur die Kontonummer meiner Tochter wusste.
    Frau Michels hatte ihr dichtes Haar blond gefärbt und ihre breiten, geschwungenen Lippen dick mit rotem Lippenstift belegt.
    »Vertreter?«, fragte sie.
    »Nein, Lehrer«, antwortete ich.
    »Ach so«, sagte sie und schaute mich musternd an. Sie nahm einen Stadtplan, um den Werbefelder rund um ein Gewirr von Linien und Zahlen gedruckt waren, und legte ihn aus. Dann langte sie zum Telefon und wählte die Nummer, auf der ihr fetter Daumen saß.
    »Hotel Michels, können Sie mir aufgrund einer Kontonummer die entsprechende Filiale nennen?«, fragte sie mit rauchiger Stimme. Es dauerte nicht lange, bis sie den Hörer auf die Gabel legte.
    »Hier im Philosophenviertel, Ecke Leibniz- und Kantstraße, Herr Udendorf«, sagte sie und malte ein X in den Stadtplan. Sie reichte ihn mir und schaute nachdenklich hinter mir her.
    Ich entschied mich für die U-Bahn, gewöhnte mich an die Menschenfülle und vergaß meine Müdigkeit.
    In der Bankfiliale hörte sich ein hübsches Mädchen meine Geschichte an, hielt mich für einen dummen Bauer aus der ostfriesischen Provinz und führte mich höflich zum Filialleiter.
    Der Mann war nicht viel älter als ich. Er trug einen eleganten Anzug, Krawatte und Hemd farblich abgestimmt, und selbst sein faltenloses Gesicht hatte er seinem Beruf angepasst.
    »Nehmen Sie Platz. Ich bin Doktor Knieper und möchte Ihnen weiterhelfen, soweit meine Befugnisse das erlauben«, sagte er.
    Ich kam mir klein vor, als ich in den Ledersessel sank. Würde ich ihm erzählen, was mich nach Berlin geführt hatte, dieser Bankmensch würde einen Knopf drücken, und innerhalb von zehn Minuten stünden Uniformierte im Büro, um mich in eine Irrenanstalt zu überführen.
    »Mein Name ist Doktor Udendorf, Klaus Udendorf. Ich bin Oberstudienrat am Gymnasium in Norden, wohne in Norddeich in Ostfriesland und besuche eine Tagung in Berlin.«
    »Schön«, sagte Doktor Knieper überflüssigerweise und musterte mich.
    O Gott, ich hätte mich rasieren müssen, fiel mir ein, deshalb antwortete ich: »Ich bin die Nacht über durchgefahren und stellte im Hotel fest, dass ich die Euroschecks und auch die Scheckkarte zu Hause liegen gelassen habe.«
    »Und nun benötigen Sie Bares?«, fragte er.
    »Meine Tochter studiert hier in Berlin. Sie unterhält bei Ihnen ein Konto, auf das ich von zu Hause per Dauerauftrag Geld überweise«, brachte ich vor.
    »Wollen Sie etwa an ihr Konto?«, fragte Doktor Knieper misstrauisch.
    »Nein, ich dachte, da sie kurzfristig umgezogen ist, ich könnte von Ihnen ihre Anschrift erfahren«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
    Er ließ sich meine Kontonummer nennen und telefonierte durch. Kurz danach erschien eine junge Frau und legte ihm eine Kontokarte vor.
    »Wir dürfen das Bankgeheimnis leider nicht verletzen, Herr Doktor Udendorf. Ansonsten werden die Einzahlungen regelmäßig abgehoben«, sagte er.
    »Und ihre Anschrift?«, fragte ich.
    »Die fällt in unsere Schweigepflicht«, antwortete er.
    Ich legte ihm meinen Reisepass auf den Schreibtisch.
    »Dreitausend Euro würden mir Spielraum geben«, sagte ich. »Hier ist meine Bankverbindung. Wenden Sie sich an Herrn Feermoor. Er wird das Geld überweisen.«
    Er verließ das Zimmer. Verrückt, dachte ich. Vielleicht wohnt Inga hier irgendwo um die Ecke, studiert brav, während ich alter Esel mich hier lächerlich mache. Was ist nur in mich gefahren? Nirgendwo erblickte ich ein Zeichen von Anke im Zimmer.
    Doktor Knieper betrat das Büro. Ich sah ihn gespannt an.
    »Sie können sich sogleich am Schalter das Geld auszahlen lassen«, sagte er und reichte mir ein Formular. Ich unterschrieb, bekam die Durchschrift.
    Vor dem Kassenschalter verteilte ich das Geld auf Jacken- und Hosentaschen und verließ die Bank.
    Als ich in die grelle Sonne schritt, kam ich mir selbst fremd vor. Menschen strömten in beide Richtungen der Bürgersteige, und über die Straße rollte der Verkehr.
    »O mein Gott, meine Schule«, stöhnte ich, als mir ein Schwarm Schüler ausgelassen entgegenkam.
    Ich war Beamter auf Lebenszeit. Aber wie ich meinen Direktor kannte, hielt er jetzt bereits den Telefonhörer in der Hand, um die Bezirksregierung über mein seltsames Verschwinden zu informieren. Der leitende Oberschulrat wird sofort reagieren, meine Daten irgendwo einem
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