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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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lächelte verlegen. Er nahm ein Foto aus seiner Jackentasche und legte es mir in die bewegliche rechte Hand.
    Inga sorgte für meine Lesebrille, die unbenutzt in der kleinen Schublade des Nachtschränkchens gelegen hatte.
    Das Foto zeigte einen jungen Mann.
    Mich verblüffte die Ähnlichkeit. Das tiefschwarze Haar, die fein geschwungenen Züge des Gesichts erinnerten mich an Kaya.
    »Ihr Bruder?«, fragte ich erregt.
    Doch die Antwort erübrigte sich, als ich das kleine Kreuz entdeckte, das Jan auf das Bild gemalt hatte, und die Bemerkungen las: Auf der Flucht von mir in Duisburg erschossen. Selbst das Datum seines Todestages hatte Jan vermerkt.
    Der Professor erschien.
    »Mein lieber Udendorf, muten Sie sich nicht zu viel zu«, sagte er in Sorge.
    »Mein Schwiegervater wird sich schnell erholen«, sagte Jan und grinste mich an, und ich dachte wehmütig, dass ich doch alt geworden war. Inga sagte mitfühlend: »Vater, sorge dafür, dass du schnell wieder auf die Beine kommst. Wenn du Langeweile hier im Krankenhaus verspürst, dann lese die Illustrierte hier. In dieser Ausgabe begann sie mit meiner Fortsetzungsserie. Auch du kommst darin vor!«
    Sie legte die dicke Illustrierte auf meinen Nachttisch.
    Professor Gander trieb sie höflich nach draußen, erschien dann augenzwinkernd erneut in der Tür meines Krankenzimmers und fragte listig: »Udendorf, verkraften Sie noch einen Besuch, der uns seit Tagen um Besuchserlaubnis anbettelt?«
    »Wenn das so ist, ja«, antwortete ich und blickte erwartungsvoll auf den Türrahmen.
    Mein Direktor erschien. Er hielt seine Baskenmütze verlegen in seinen Händen. Sein grauer Haarschopf wippte, als er mit Hochachtung sprach: »Herr Kollege, unser Gymnasium ist stolz auf Sie und Ihre Tochter. Werden Sie erst gesund, dann freuen wir uns alle wieder auf Ihre Dienstaufnahme.«
    Sein Besuch tat mir gut. Sollte ich ihn um Verzeihung bitten wegen all meiner bösen Gedanken, die viele Stunden meiner Irrfahrt gefüllt hatten?
    Nein, das durfte nicht sein. Sein Lernprozess musste nun permanent erhalten bleiben.
    »Danke«, sagte ich und schaute gerührt auf sein Geschenk, das er aus dem Schmuckpapier zu lösen begann.
    »Lieber Kollege, damit Sie sich in diesen Wänden nicht zu sehr langweilen, habe ich Ihnen das während Ihrer Abwesenheit erschienene Buch von Elke Domminga mitgebracht. Sein Titel: Die Ursprünge des ostfriesischen Buntviehhandels mit China im 17. Jahrhundert«.
    »Danke«, sagte ich und spielte den Begeisterten. Er wollte nicht länger bleiben, doch noch den Gruß des Oberschulrates loswerden und mir mitteilen, dass eine Anfrage vom türkischen Gymnasium in Istanbul vorliege, ob ich die dort frei gewordene Stelle als Oberstudienrat für Mathematik besetzen wollte.
    Damit hatte er mir, als er mich verließ, mehr Stoff im Kampf gegen langes Liegen im Krankenbett geliefert, als das ostfriesische Kühe schaffen konnten, die bereits im 17. Jahrhundert vom Greetsieler Hafen in alle Welt als Zuchtvieh exportiert worden waren.
    Istanbul, die Heimat Kayas, vielleicht ihr Grab in Reichweite? Da konnte ich schon anbeißen!
    Ich nahm mir vor, mit meiner Tochter und Jan die Entscheidung zu suchen, denn schließlich hatte ich auch ein Grab auf unserem ländlichen Friedhof zu pflegen.
     
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