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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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tranken wir einen Kaffee, tankten den Wagen auf und fuhren wie Kinder unseren Träumen entgegen.
    Natürlich dachte ich an meine Schule, während Kaya auf die Musik lauschte, die der Rundfunk sendete. Sie liebte wie ich klassische Konzerte.
    Die Argumente, die, wie ich annehmen konnte, mein Direktor in einer Anklageschrift zusammengetragen hatte, mussten zerplatzen wie Luftballons angesichts meiner hinterlassenen mehrbändigen Protokolle, die nicht nur deutsche Polizeidienststellen interessierten.
    Erst recht müsste Inga, meine Tochter, zum Star Ostfrieslands avancieren, wenn ihre Fotos und ihre Erlebnisse als Sensation in der berühmten Illustrierten erscheinen würden. Inga war schließlich eine Schülerin unseres ehrwürdigen Norder Gymnasiums!
    Musste nicht auch mein Oberschulrat nach Abwägung aller Tatsachen meinen Einsatz im Kampf gegen das Verbrechen mit lobenden Worten anerkennen?
    Aus dem Radio erklangen die vier Jahreszeiten von Vivaldi.
    Ich warf einen Blick auf Kaya, die versunken die Augen geschlossen hielt und bequem im Autositz saß.
    Der Sommer würde sich mit wenigen Sonnentagen bald verabschieden und dem Herbst das Feld überlassen. Unsere Strände, ohne Strandkörbe, lagen dann unter dichten, tief ziehenden grauen Wolken, und Herbststürme trieben bei Flut hohe Wellen heulend gegen die schützenden Deiche.
    Ich liebte diese Stimmungen und verkroch mich gern nach langen Spaziergängen in meinem Bungalow, zündete das Feuer im Kamin an und überließ mich Gedanken, die mir im Sommer nicht kamen.
    Vivaldi drückte das aus, was ich dachte, und Kaya neben mir schien es zu träumen.
    Ich überlegte mir, ob ich mit Kaya nicht noch einen Urlaubstag im Sauerland verbringen sollte, sozusagen als ein Geschenk für unsere zurückgewonnene Freiheit!
    Die Sonne schien, und morgen konnte es regnen. Mein Bungalow in Norddeich konnte auch noch einen weiteren Tag unbelebt auf uns warten.
    Es war schon später Nachmittag, als ich die Autobahn verließ und die Bundesstraße nahm, die über die bewaldeten Hänge des Hochsauerlandes führte. Kleine Fachwerkhäuser, Dörfer mit stumpfen Kirchtürmen entsprachen unseren Träumen vom gemeinsamen Glück.
    Völlinghausen hieß der kleine Ort, durch den wir fuhren, und nach etlichen Kilometern folgten wir einem Hinweisschild, das uns zu einer romantischen Pension führte, die sich Talblick nannte.
    Schon vor dem Parkplatz blickten wir hinunter auf die sich um einen Fluss schlängelnde Straße und die mit Tannen bewachsenen Berghänge.
    In der Pension gab es noch ein freies Zimmer.
    Ein Spaziergang durch einen Buchenwald, Hand in Hand, füllte unsere Lungen mit frischer Luft. Erste Nebel zogen Schleier, und das Rascheln der Baumkronen, wenn der leichte Wind nach ihnen griff, schuf eine Melodie, die Vivaldi übertraf.
    Oft blieben wir stehen und küssten uns, schworen uns Treue und haderten nicht mehr mit unserem Schicksal.
    Was hinter uns lag, sollte das Fundament für die Zukunft sein.
    Verlaufen konnten wir uns nicht, denn der Rundweg endete dort, wo wir ihn betreten hatten.
    Wir fühlten uns wie auf Wolken und selbst im Restaurant verspürten wir noch den Holzgeruch des Waldes, als wir an einem Tisch saßen, die getäfelten Wände und Deckenbalken uns wie Garanten der Zukunft erschienen.
    Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Schinkenwürfeln und Gurken aßen wir wie ein vorgezogenes Hochzeitsessen.
    Den Abend krönten wir mit einem Gläschen Wein.
    Ich zeichnete auf einem Bierdeckel den Grundriss des Hauses, das für viele weitere Jahre unser Zuhause sein würde.
    Unser Zimmer mit soliden Holzmöbeln und breitem französischen Bett wurde zum Paradies.
    Durch das Fenster strömte die würzige Waldluft herein, und die kleinen Nachttischlampen warfen Schatten auf die Holzwände, während sich unsere nackten Körper mit ihrer braunen Sommerfarbe im gelben Licht von dem weißen Bett abhoben.
    Unvergesslich die Liebesfunken, die wie zuckende Blitze unsere Körper erregten.
    Aber auch unvergesslich die Mattheit, die uns als Lohn für himmlische Minuten überfiel, in denen wir in einer Welt waren, die wir zusammen als eine Einheit erlebt hatten.
    Ich warf Kaya die leichte Decke über, küsste sie, ordnete ihr Haar und schritt ans Fenster, eine Zigarette zum Abschluss rauchend.
    Unter mir lag das Tal, in dem nur wenige Lichter brannten.
    Ich atmete die nach Moor, Blütenstaub und Fichten duftende Luft tief ein und suchte vergeblich die schwarze Wand der Tannenwälder nach weiteren
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