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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Betäubung, wie ich sie von Zahnbehandlungen her kannte.
    »Vielleicht kann Ihnen Ihre Tochter helfen, die sicher für Sie schrecklichen Szenen in Ihr Gedächtnis zurückzurufen. Sie wartet draußen«, sagte der Professor.
    »Inga«, stöhnte ich und starrte gegen die Decke. So als projiziere jemand dort Dias, sah ich plötzlich bruchstückhaft die Sea Ghost, das Mittelmeer und die Moscheen mit ihren Minaretten, das fordernde Gesicht meines Direktors - und es gelang mir nur schwer, aus den Bildern meinen Weg zu rekonstruieren.
    Doch dann sah ich meine Tochter.
    »Inga!«, rief ich und wusste nicht, warum ich weinen musste.
    Durch die Tränenschleier lachte mich ein Mann an, dessen kantiges, bärtiges Gesicht wie auf einer Wasseroberfläche von kleinen Wellen zusammengetragen wurde.
    »O Gott, Nababik!«, stöhnte ich, und mein Erinnerungsvermögen nahm die Arbeit auf.
    Inga und Jan ten Woolf standen vor meinem Bett, doch dann schlich ein Mann in meine Nähe, den ich nicht kannte. Ich sah einen Blitz - und als erlebte ich einen Erdrutsch, wurde mir bewusst, was in meinem Bungalow geschehen war.
    Inga beugte sich zu mir, küsste meine Wangen und sagte: »Vater, das Schlimmste hast du überstanden.« Sie sah, wie ich irritiert auf die Tür schaute.
    »Der Mann war von der Zeitung«, erklärte sie mir.
    Ich konnte nicht antworten, reichte Jan meine rechte Hand und spürte dankbar seinen harten Händedruck, den ich zu deuten wusste.
    »Kaya«, hauchte ich, während ich mit den nebelhaften Erinnerungen kämpfte.
    Lag auch sie in einem Krankenzimmer dieses Krankenhauses? Hatte sie mehr abbekommen als ich?
    »Sie ist tot«, antwortete Inga und legte ihr Gesicht an meine Wange, und ich spürte, wie mein Verband ihre Tränen aufnahm.
    Auch ich weinte, während ein Film vor meinen Augen ablief und ich die Szene noch einmal erleben musste, wie ich ihre Hand gehalten und sie ins Wohnzimmer geführt hatte, als der feige Mörder seine Waffe abgedrückt haben musste.
    Mein Körper schüttelte sich, kämpfte gegen die Wahrheit an, die mich zu hart traf.
    Ich lag im Krankenbett und schämte mich, dass ich überlebt hatte.
    Die Gefühle meiner Trauer zu beschreiben kann mir nie gelingen.
    Die körperlichen Schmerzen, die die Operationswunden hervorriefen, während sich mein Körper aufbäumte, waren vergessen, denn meine Seele kämpfte mit meinem Überlebenswillen.
    Kaya hatte mir nicht nur die Schönheit ihres dunkelhäutigen Körpers in Liebe geschenkt, sondern Harmonie in mein Alter gebracht.
    Die Bilder um mich herum verschwanden, das Zimmer dehnte sich aus, Inga und ten Woolf sah ich zwischen bunten Blumen weit entfernt, als seien sie Besucher eines Stadions.
    Licht umflutete mich plötzlich.
    Wie in einem Märchen schwebten Anke und Kaya in luftigen Sprüngen an mein Bett. Sie hielten sich an den Händen und ihre Gesichter waren voll Frieden einer sorgenlosen fremden Wirklichkeit.
    Sie neigten sich zu mir und küssten mich. Ich schaute ihnen nach, wie sie froh winkten, über Blumen an Inga und ten Woolf vorbei in einem goldenen Strahlenmeer verschwanden. Ich weinte vor Glück, doch geweint hatte ich auch vorher.
    Traum oder Wirklichkeit? Waren es Sekunden oder Stunden? Hatten Medikamente meine Fantasie beflügelt?
    »Kaya lebt«, sagte ich mit fester Stimme.
    »Vater, Kaya ist bereits vor einer Woche nach Istanbul überführt worden«, sagte Inga und schluchzte.
    Ich griff nach ihrer Hand. »Mein Kind, Kaya lebt! Sie ist Mutters Freundin geworden.«
    »Vater, du hast zehn Tage im Koma gelegen. Schau her, wer dir alles gute Genesung gewünscht hat«, sagte sie, um mich froh zu stimmen und abzulenken. Sie nahm Karten von einem vollen Stapel.
    Es waren die Polizeibeamten, mit denen ich zusammengekommen war, auch Paul Hammes natürlich, meine Kollegen und der Bürgermeister. Selbst unsere Heimatzeitung hatte Blumen geschickt und wartete auf einen Termin.
    Was mir besonders gut gefiel, mein Oberschulrat und mein Direktor hatten ein Kärtchen geopfert und wünschten mir noch viele Dienstjahre. Die Welt war für sie wieder in Ordnung.
    Doch noch war ich nicht am Ende. Für mich gab es eine letzte Aufgabe, nämlich einen Mörder zu jagen!
    Als Jan ten Woolf, mein bester Freund, mir eröffnete, dass er sich mit Inga verloben wollte und den Termin der Feier von meiner Genesung abhängig mache, sagte ich voller innerer Unruhe: »Jan, da wird nichts draus! Ich muss den feigen Attentäter jagen, selbst wenn ich dabei hops gehe!«
    Mein Freund
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