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Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten

Titel: Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
Autoren: Lynn Flewelling
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Prolog
     
     
    Moderndes Gebein bröckelte unter ihren Stiefeln, als Lord Mardus und Vargûl Ashnazai sich in die kleine Kammer unter dem Erdhügel hinabließen. Es störte Mardus nicht, daß es durchdringend nach Sumpf und längst verblichenen Toten roch, ebensowenig kümmerte ihn die feuchte Erde, die sich in seinen Haaren fing und ihren Weg in den Kragen fand. Er bahnte sich den Weg über weitere Knochen zu einer rauhen Steinplatte am hinteren Ende der Kammer. Dort schob er einige morsche Rippen und Schädel beiseite und nahm ehrfurchtsvoll einen kleinen Beutel von der Steinplatte. Das brüchige Leder zerfiel durch die Berührung und ließ acht geschnitzte hölzerne Scheiben in seiner Hand zurück.
    »Es scheint, als hättest du erreicht, was du wolltest, Vargûl Ashnazai.« Mardus lächelte, und die Narbe unter seinem linken Auge spannte sich.
    Ashnazais scharf geschnittenes, bleiches Gesicht wirkte gespenstisch in dem unsteten Licht. Er nickte zufrieden und ließ seine Hand über die Scheiben gleiten, einen Atemzug lang verschwamm die Form der Scheiben, und ihre wahre Gestalt ließ sich erahnen.
    »Nach all den Jahrhunderten hat nun ein weiteres Fragment seinen Weg zurückgefunden!« stellte er leise fest. »Das ist ein Zeichen, Herr. Der Tag wird kommen.«
    »Ein äußerst günstiges Zeichen. Wollen wir hoffen, daß unsere weitere Suche ebenso erfolgreich vorangeht. Hauptmann Tildus!«
    Das Gesicht eines bärtigen Mannes tauchte in der groben Öffnung oben auf dem Hügel auf.
    »Wurden die Dorfbewohner zusammengetrieben?«
    »Ja, Herr.«
    »Gut. Du kannst beginnen.«
    »Ich werde Vorbereitungen treffen, daß die Scheiben sicher ihr Ziel erreichen«, sagte Vargûl Ashnazai und wollte sie an sich nehmen.
    »Vermagst denn du, was den Alten nicht gelang?« erkundigte sich Mardus kühl und steckte die Scheiben ein, als wären sie nichts weiter als Tand. »Nichts ist so sicher als etwas, das wertlos erscheint. Wir werden auf die Weisheit unserer Vorfahren vertrauen.«
    Ashnazai zog rasch die Hand zurück. »Wie Ihr wünscht, Herr.«
    Mardus’ seelenloser Blick traf den seinen, und er hielt stand, während über ihnen die ersten Schreie erschollen.
    Vargûl Ashnazai war der erste, der davor die Augen verschloß.

 
1
Schatten
     
     
    Asengais Folterknechte verrichteten ihre Aufgaben mit sturer Regelmäßigkeit, sie verließen die Zelle stets bei Sonnenuntergang. Alec saß nun wieder im zugigen Kerker, er wandte sein Gesicht der rauhen Wand aus Stein zu und schluchzte, bis seine Brust schmerzte.
    Ein eisiger Bergwind, der den Geruch von Schnee mit sich führte, pfiff durch die Gitter über ihm. Der Junge weinte noch immer, als er sich tiefer in das faulige Stroh grub. Es kratzte schmerzhaft an den Schwellungen und Schürfungen, die sich auf seiner nackten Haut zeigten, aber es war besser als der kahle Boden und vor allem das einzige, das sich im Kerker befand.
    Nur er war noch hier. Den Müller hatten sie gestern gehenkt, und der, der sich Danker nannte, war unter der Folter gestorben. Alec hatte keinen der beiden zuvor gekannt, aber sie waren freundlich zu ihm gewesen. Nun weinte er um sie und wegen der grausigen Art, wie der Tod zu ihnen gekommen war.
    Als die Tränen versiegten, fragte er sich erneut, warum er verschont geblieben war, warum Lord Asengai wiederholt seinen Folterknechten Anweisung gegeben hatte, ihn nicht allzusehr zu entstellen. Die glühenden Eisen waren ihm erspart geblieben. Sie hatten ihm auch nicht die Ohren abgeschnitten oder seine Haut mit den Knoten in der Peitschenschnur aufgerissen wie den anderen. Statt dessen hatten sie ihn geradezu kunstvoll geprügelt und ihn getaucht, bis er glaubte zu ertrinken. Er hatte die Wahrheit herausgeschrien, daß er nur auf der Suche nach den Fellen der gefleckten Katzen durch die Ländereien um Asengais Besitzungen gestreift war, aber seine Peiniger waren unbeeindruckt geblieben.
    Seine letzte Hoffnung war ein rascher Tod, der ihm als willkommene Erlösung erschien von den Stunden der Qual, den endlosen Fragen, die er nicht verstand und nicht beantworten konnte. Er klammerte sich an diesen bitteren Trost und fiel in einen unruhigen Schlaf.
     
    Das vertraute, hohle Dröhnen von Stiefeln auf dem Flur weckte ihn etwas später. Mondlicht fiel nun durch das Fenster auf das Stroh neben ihm. Krank vor Furcht zog er sich tiefer in den Schatten zurück.
    Als sich die Schritte näherten, drang unvermittelt eine schrille Stimme an sein Ohr. Sie brüllte und
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