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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn
Autoren: Stefan Slupetzky
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hab ich’s nicht gemeint.»
    «Schon gut, du Charmeur   … Jetzt lass einmal hören: Was hältst du von Paul?»
    «Paul Breitner! Soll er ’leicht Fußballer werden? Ausgerechnet in Österreich? Da wäre ja   … Thorward noch besser.»
    «Auch nicht schlecht. Oder Siegesthor.»
    «Stürmertrutz.»
    «Stoßefrey»
    «Flankebald.»
    «Flankebald Wallisch   … Das hat Rhythmus, das gefällt mir.»
    Klara und der Lemming brechen unisono in Gelächter aus. Ein Gelächter, das bislang noch jede ihrer Namensdiskussionen vorzeitig beendet hat.
    Schon vor Monaten haben die zwei eine seltsame Liste aufgesetzt: Keine Namen, die ernsthaft in Frage kommen, sondern nur solche, mit denen man ein Kind schon strafen kann, bevor es das erste Mal unfolgsam ist.
Dörthe
ist der Spitzenreiter bei den Mädchen, knapp gefolgt von
Erdmute
und
Notburg
, bei den Buben führt
Rüdiger
vor
Blasius
,
Detlef
und
Roderich
. Aber auch Neukreationen und Anleihen aus artfremden Genres sind hier vertreten. Beispielsweise die grazile
Lada
mit ihrem Bruder, dem bulligen
Moskwitsch
. Oder der virile
Hokuspokus
und sein weibliches Pendant, die liebliche
Abrakadabra
(selbstverständlich hat der Lemming auch das Baby der beiden, das herzige
Simsalabim
, auf der Liste vermerkt).
    Wahrscheinlich liegt dem Impuls, bei diesem Thema ins Absurde abzudriften, eine Art Befangenheit zugrunde, eine Scheu davor, dem kleinen, bislang ungeprägten Menschen seinen ersten Stempel aufzudrücken. Es ist ja auch ein grober Eingriff in das Unberührte, wie das erste Wort auf einem leeren Blatt Papier, der erste Schritt auf einer frisch beschneiten Wiese   …
    «So kommen wir nicht weiter», meint Klara, nun wieder ernst geworden. Sie blickt auf das Bündel in ihren Armen. Der Kleine – ermattet vom Saugen an ihrem üppigen Busen – ist eingeschlafen. Im Spiel der Sonnenstrahlen, die durch das Grün der Weinlaube fallen, hebt und senkt sich rasch und rhythmisch seine Brust.
    Der Lemming nickt und zuckt die Schultern. «Castro, was meinst du: Wie soll dein neues Herrli heißen?»
    Zu seinen Füßen ertönt jetzt ein Brummen, und schon taucht unter der Kante des Gartentischs die feuchte Schnauze des Leonbergers auf. Castro blinzelt ins Licht; er gähnt und lässt seinen wuchtigen Schädel in den Schoß des Lemming sinken.
    «Was? Was hat er gesagt?», grinst Klara.
    «Nichts. Er überlegt noch.»
    Und wie zum Beweis für den außergewöhnlichen Tiefgang seiner Gedanken fängt Castro jetzt lautstark zu schnarchen an.
    «Sag, Poldi, hat dir unser roter Engel eine Adresse gegeben?»
    «Die Lehnerin? Nur eine Telefonnummer. Warum?»
    «Wir könnten ja auch sie nach ihrer Meinung fragen. Schließlich war sie nicht ganz unbeteiligt an der sicheren Landung unseres   … kleinen Prinzen.»
    «Ja, wenn du meinst   …»
    «Du darfst auch mein Handy benutzen, solange   …» Klara verbeißt sich ein weiteres Grinsen.
    «Solang ich damit keinen Eurofighter vom Himmel hol? Meinetwegen. Wo ist es denn?»
    «In der Küche, auf der Kredenz. Ich möcht mich dann auch gern noch einmal bedanken.»
    Behutsam hebt der Lemming Castros Kopf von seinen Schenkeln. Dann steht er auf und tritt in den kühlen Schatten des Hauses.
     
    Freizeichen. Nach langen Sekunden erst wird am anderen Ende der Leitung der Hörer abgenommen.
    «Hallo? Sind Sie es, Frau Lehner?»
    Statt einer Antwort schmettert infernalisches Gedröhn gegen das Trommelfell des Lemming: der dumpfe, hämmernde Rhythmus elektronischer Bässe, vermischt mit dem Kreischen undefinierbarer Blas- oder Streichinstrumente. Dazu gesellt sich ein dichter Nebel aus Stimmen, dem hin und wieder gellendes Gelächter entsteigt. Dann das Aufröhren eines Motors, heiser und grollend, anscheinend ein Motorrad.
    «Hallo? Frau Lehner?»
    Nichts als der stampfende Lärm der Musik ist zu hören. Der Lemming verzieht das Gesicht, streckt den Arm aus, hält das Handy möglichst weit von seinen Ohren entfernt. Aberdann – von einem Augenblick zum anderen – endet der Radau.
    «Wer spricht denn da?», fragt Angela Lehner in die plötzliche Stille hinein. Sie klingt ungeduldig und reizbar, schon fast an der Grenze zur Schroffheit, wie der Lemming überrascht vermerkt.
    «Wallisch hier, Leopold Wallisch. Vielleicht erinnern Sie sich noch: das Nervenbündel vom Samstag. Der frischgebackene   …»
    «Aber natürlich! Herr Wallisch! Was macht der Kleine, geht’s ihm gut?»
    Wie weggeblasen ist der rüde Unterton in Angela Lehners Stimme. Weich und
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