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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn
Autoren: Stefan Slupetzky
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endgültig aus meiner Wohnung vertrieben – nicht ganz unfreiwillig, wie ich allerdings gestehen muss.
    Dass auch die liebe Frau Mally nicht zum Fest gekommen ist, hängt (wie Ihr detektivischer Spürsinn Sie wahrscheinlich schon erahnen lässt) unmittelbar mit meinem eigenen Fernbleiben zusammen. Aber ich will Sie nicht lange auf die Folter spannen:
    Ja, wir haben es gewagt.
    Immerhin ist man in einem Alter, in dem man seinen Gefühlen ein gewisses Maß an Vertrauen schenken darf, umso mehr, als man diese Gefühle nicht glühend gesucht hat, sondern sie ganz gemächlich zu einem gekommen sind. So ähnlich habe ich es am Silvesterabend gegenüber der Frau Mally ausgedrückt. Und als sie – wenn auch nach einigem Zögern – meinen Worten beigepflichtet hat, da war das Glühen in meinem Magen (ich gebe es ja zu) trotz allem respektabel. Schmetterlinge im Bauch, so haben wir früher dazu gesagt, und ich muss mich schon darüber wundern, wie lange solche Schmetterlinge vollkommen regungslos in einem Bauch überleben können: viele Jahre lang, fast wie die Zecken auf den Bäumen. Dabei dachte ich, sie seien längst davongeflogen.
    Wir haben es also gewagt. Noch nicht so konsequent wie Sie, Herr Wallisch, aber gewagt. Seltsamerweise scheint es das Vorrecht des Alters zu sein, die Dinge gelassener, langsamer anzugehen. Als habe man desto mehr Zeit zur Verfügung, je später es wird.
    Weil wir nun aber gerade in Übung waren, sind wir gleich noch ein weiteres Wagnis eingegangen: Wir haben unsere schöne Wienerstadt verlassen. Die Frau Mally   – Josefine – hat ihre Josefstädter Eigentumswohnung am Anfang des Jahres verkauft, und wir haben uns mit dem Erlös auf die Suche nach einem gemeinsamen Häuschen am Land begeben. Man möchte es kaum
glauben, aber schon im allerersten Ort, den wir uns angesehen haben, sind wir fündig geworden.
    Sie werden lachen, wenn ich Ihnen unsere neue Adresse verrate. Ein kleines, idyllisches Fleckchen nordöstlich von Wien, in den sanft geschwungenen Hügeln des südlichen Weinviertels. Also lachen Sie ruhig, Herr Wallisch: Josefine Mally und Klaus Jandula wohnen seit dem vergangenen Mai in einem kleinen Dörfchen namens Stillfried
.
    Mag sein, dass dieser Name unsere Wahl beeinflusst hat. Trotzdem ist unser neues Zuhause – beinahe – perfekt. Wenn wir auf der Terrasse sitzen, sehen wir über die Weingärten in die Senke der Marchauen hinunter: erste Reihe fußfrei vor der Bühne der Natur. Aber wie es nun mal im Theater so ist, sitzt meistens einer daneben, der bei den entscheidenden Stellen zu husten, zu niesen, mit seinem Hintern zu wetzen beginnt.
    Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Unsere Nachbarn sind wirklich sympathische Leute, nur eben manchmal ein wenig dumm und rücksichtslos (das muss, wie Sie ja wissen, kein Widerspruch sein). Rechts von uns eine junge Familie, die den ganzen Tag Volksmusik hört: Pitztaler Buam, im sonnigen Garten, während das Kind mit dem bellenden Hund spielt. Links ein rüstiger Frühpensionist, der von früh bis spät seinen Rasen trimmt oder – mit Hammer und Bohrer bewaffnet – an seinem Lebkuchenhäuschen herumbastelt. Abends bekommt er dann meistens Besuch: eine trinkfeste, lautstarke Kartenrunde. Bis tief in die Nacht, bei geöffneten Fenstern, versteht sich: Frische Luft, dazu ist man ja schließlich aufs Land gezogen.
    Nein, Herr Wallisch, ich jammere nicht, ganz im Gegenteil: Unser Haus hier in Stillfried ist wirklich ein wahres Juwel. Besser hätten wir es gar nicht treffen können, die liebe Frau Mally und ich. Ganz abgesehen davon, dass es ausreichend Platz für uns beide bietet, haben wir sogar zwei Gästezimmer zur Verfügung. Eines in der Mansarde, gleich unter dem Dach (die Aussicht
dort oben ist tatsächlich atemberaubend, Sie müssen uns bald besuchen kommen!), und ein zweites, das wir in den nächsten Tagen einweihen werden.
    Es befindet sich im Keller.
     
    Mit den besten Wünschen für die Zukunft, unbekannterweise auch an Ihre werte Frau Gemahlin,
    Ihr Klaus Jandula

Mit Dank an
    Julia Maetzl (für Liebe, Verständnis und Beistand),
    Tomas Slupetzky (für brüderliche Freundschaft und für seine Lauda-Sinowatz’sche Säuglingstypologie),
    Marianne Slupetzky (für Aufzucht und moralischen Rückhalt),
    Dr.   Maximilian Kutzer und die Herren des Café Luxor (für Asyl in Zeiten akustischer Not),
    Christian Wagner (für eine computertechnische Rettungsaktion),
    Dr.   Christoph Spielberg (für Unterstützung in medizinischen
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