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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn
Autoren: Stefan Slupetzky
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lässt sie sich schwer wieder flicken.
    «Ja also   … Es geht Ihnen hoffentlich besser, Herr Wallisch   … So ein dummes   … Missverständnis.»
    «Missverständnis?» Polivka, vor unterdrückter Begeisterung hochrot im Gesicht, zieht das Haustor auf. «Wieso Missverständnis, Herr Gartner?»
    «Na weil   … Verzeihen Sie, aber im ersten Moment hat das fast   … fast absichtlich auf mich gewirkt.» Gartner kichert entschuldigend. «Auf Sie etwa nicht, Herr Bezirksinspektor?»
    «I weiß net, Herr Gartner, i weiß net», gluckst Polivka. «Manmüsst wahrscheinlich einen Doktor fragen, ob einer so absichtlich speiben kann   …»
    «Selbstverständlich, selbstverständlich.» Hannes Gartner duckt sich noch ein wenig tiefer zwischen seine Schultern. Dreht sich dann zum Lemming um, der – nach wie vor etwas schwach in den Knien – hinter ihm hertrottet. «Nichts für ungut, Herr Wallisch. Und wegen der Reinigungskosten   …»
    «Selbstverständlich, selbstverständlich», unterbricht ihn der Lemming mit beflissenem Nicken.
    Polivka kann nicht mehr. Er beugt sich vor und vergräbt das Gesicht in den Händen, geschüttelt von Lachkrämpfen. Polivka röchelt vor Vergnügen.
     
    Die Turmuhr der Servitenkirche schlägt halb acht. Ein dichter Nebel ist inzwischen eingefallen; er hüllt die Laternen in Watte, dämpft auch den Lärm des Verkehrs, der von der nahen Rossauerlände herüberdringt.
    Die Männer stehen auf dem Trottoir und warten. Hannes Gartner hat darauf bestanden, die Ambulanz zu verständigen: Wer nämlich Schäden,
bleibende
Schäden erlitten hat, der sollte auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus. So eine Fahrt mit Blaulicht und Folgetonhorn macht nicht zuletzt vor Gericht den gebührenden Eindruck. Trotz seiner Schäden (auch der textilen) wirkt Gartner nun aber wieder zufrieden, um nicht zu sagen: fidel. Mit einem Grinsen auf den Lippen wippt er auf und ab, während aus einem Plastiksack in seiner Rechten das muntere Klimpern von Flaschen dringt:
Château Lafite
. Der Niemandsmann ist tatsächlich noch einmal umgekehrt, um sich Angelas Wein aus dem Kerker zu holen.
    «Bestens, bestens», sagt er jetzt. «Für meine Geschäftsfreunde. Darf ich den Herren vielleicht auch eine   …?»
    Aber der Lemming und Polivka schütteln die Köpfe. «Antialkoholiker », meint der Lemming bedauernd. VerhaltenesJapsen: Polivka beißt sich erneut auf die Zunge, um nicht lauthals loszuprusten.
    Minuten vergehen. Die Männer warten, Gartner wippt. Seine Miene ist nachdenklich, beinah verträumt: Vielleicht kalkuliert er bereits die Verwertung der Filmrechte an seiner Entführung, vielleicht auch den Umbau des Strafraums in eine Garage. Nach einer Weile jedoch hält er inne und blickt zu Polivka hoch: «Darf man fragen, Herr Bezirksinspektor, wie es nun weitergeht? Weiß man schon, wo diese Lehners stecken?»
    «Ich weiß, wo sie stecken. Komm, ich bring dich hin, du Ratte.»
    So frostig und trüb der Nebel, so eisig und klar die Replik. Nur, dass die Antwort nicht von Polivka gekommen ist.
    Ein Schatten hat sich aus dem Dunst geschoben. Ein Schatten, geduckt wie ein Tier: kein Tier auf der Flucht. Ein Tier auf der Jagd.
    «Was ist? Ich zeig dir, wo die Lehners sind.»
    Diese Augen, die jetzt groß und starr aus ihren Höhlen treten. Dieser zerschlissene Mantel, der selbst wie aus Nebel gestrickt zu sein scheint. Charon, schießt es dem Lemming durch den Kopf, Charon, der Fährmann der Unterwelt. Von Gartner wird er keinen Obolus für seinen Dienst erhalten. Gartner steht nur da und sieht Frank Lehner an, den Kopf gesenkt wie eine Höhlenkreatur, die
ohne
den Schutz ihrer Grotte auf Beute lauert. Nicht anders als damals wahrscheinlich, als er sich Lehners Genehmigung für seinen Dachausbau holte. Nicht anders als damals, als er ihm – mit dessen eigener Vollmacht – die Arbeit, die Würde, die Freiheit, die Wohnung, das Kind nahm. Nicht anders als damals. Jetzt gibt es nichts mehr zu holen. Frank Lehner hat nichts, er hat gar nichts mehr   …
    Hannes Gartner dürfte mittlerweile zu demselben Schluss gekommen sein; er scheint sich damit abzufinden, dass die so plötzlich verschärfte Situation keinen nennenswerten Gewinnverspricht. Also warum Verluste riskieren? «Da ist er ja!», schreit er. «Da ist dieser Lehner! Verhaften S’ ihn doch, Herr Bezirksinspektor!   … Wenn ich mir diesen Vorschlag erlauben darf», fügt er hastig hinzu.
    Ehe Polivka Gartners Empfehlung auch nur in Erwägung ziehen kann,
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