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Riskante Liebe

Riskante Liebe

Titel: Riskante Liebe
Autoren: Cara Enders
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EINS
     
    Er hetzte barfuß über die Wiese in Richtung Waldrand. Der Schweiß lief ihm in Strömen über sein Gesicht, während er vernehmlich keuchte. Er war noch jung, deshalb wirkte seine Gestalt nicht allzu ausgemergelt. Aber sein im Laufen untrainierter Körper besaß bei weitem nicht die Ausdauer, die seine unerbittlichen Verfolgerinnen an den Tag legten. Sie kamen ihm rasch näher. Für die Anführerin und ihre Wächterinnen stellte es eine Art Spiel und Training dar, ihre Opfer während einer Verfolgungsjagd zu erlegen.
    I m Gegensatz zu uns wusste er nicht, dass ihm seine Flucht bewusst ermöglicht worden war – und dass er keine Chance auf ein Entkommen hatte. Beinahe hatte er den seiner Meinung nach rettenden Saum des Waldes erreicht, als Seratta, die mit hoch erhobenem Speer an der Spitze lief, einen triumphierenden Schrei ausstieß. Ihr Opfer hatte sich mit der Fußspitze in einer Baumwurzel verfangen und strauchelte. Wider Erwarten fing er sich und blieb auf den Beinen. Doch in dieser Sekunde schleuderte sie den Speer, der sich tief in den Rücken des Verfolgten bohrte und ihn zu Boden warf. Mit schrillen Schreien umringten ihn seine Peinigerinnen, rissen den Speer heraus und drehten den Getroffenen mit Fußtritten auf den Rücken. In dem darauffolgenden Getümmel konnte ich ihn nicht mehr sehen, hörte ihn aber stöhnen und um Gnade flehen. Seratta hatte ihr Jagdmesser aus dem Gürtel gerissen und beugte sich nach unten. Ich war zusammen mit den anderen Zuschauerinnen dicht neben Jolaria am Rande der Hütten stehengeblieben. Mit einem energischen Griff am Arm und einem gebieterischen Kopfschütteln hielt sie mich zurück, als ich mit einigen Neugierigen zusammen nach vorne stürmen wollte. Dies war die allererste Menschenjagd, die ich mit meinem nunmehr fünfzehn Sommern miterlebte und ich wollte nichts davon verpassen.
    »Nicht. Bleib bei mir. Das ist nichts für ein junges Mädchen«, warnte mich Jolaria so eindringlich, dass ich ihrer Bitte tatsächlich Folge leistete. Ich wusste nicht, was sie mit ihm anstellen würden, war mir jedoch im Klaren, dass er in jedem Fall den Tod verdient hatte. In diesem Moment gellte in meinen Ohren ein fürchterlicher, unmenschlicher Schrei, der in ein abrupt endendes Röcheln überging. Und dann hörte ich außer dem Triumphgeheul meiner Dorfgefährtinnen nichts mehr. Seratta richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und hielt etwas Blutiges in ihrer rechten Hand.
    »Dieser Reliant wird nie wieder eine von uns anrühren! Zur Abschreckung für alle seine Kumpane werden wir seine Leiche ins Dorf bringen, bevor wir sie den wilden Tieren zum Fraß überlassen!«
Mit angewidertem Gesichtsausdruck schleuderte sie das, was sie in der Hand hielt, weit von sich weg zwischen die Bäume, wischte ihre Finger und das Messer mit einer Hand voll Blätter ab und befahl:
    »Duna, Ansa, ihr beide tragt das, was von ihm übrig ist, zurück.«
Mit einem bösen Lächeln ergänzte sie:
    »Und sorgt dafür, dass Gordea es ebenfalls genau ansieht!«
     
    Kurze Zeit später erreichten sie die ersten Hütten. Seratta lief hochaufgerichtet und stolz an der Spitze, unmittelbar hinter ihr folgten Duna und Ansa, die einen Baumstamm trugen, an dem die blutüberströmte Leiche, festgezurrt wie ein erlegtes Wild, hing. Die restlichen Wächterinnen umringten die Trophäe, die anderen Zuschauerinnen folgten, während Jolaria und ich das Ende der Schlange bildeten. Serattas Gesicht verzog sich zu einem grimmigen Lächeln, als sie eine Gestalt vor einer der Behausungen wahrnahm, die unserer Gruppe angstvoll entgegenblickte und, als sie Dunas und Ansas Last erkannte, händeringend in verzweifeltes Schluchzen ausbrach. Durch ihr Wehklagen angelockt kamen auch die wenigen im Dorf Zurückgebliebenen vorsichtig aus ihren Hütten. Laut schallte die Stimme unserer Anführerin über den Dorfplatz:
»Du kannst froh sein, dass nur er mit dem Tod bestraft worden ist. Eigentlich verdienst du dasselbe Schicksal, Gordea. Du hast gegen unser oberstes Gesetz verstoßen. Nur dein Zustand rettet dich.«
Verächtlich deutete sie mit ihrem Zeigefinger auf Gordeas hervorstehenden Bauch, der durch ihre ansonsten schmale Gestalt doppelt auffiel. Gordea sank schluchzend auf die Knie, während sie ihre Arme schützend um ihre Mitte schlang.
    »Töte mich, Seratta. Ich will nicht mehr leben.«
Trotzig hob sie den Kopf und sah Seratta furchtlos ins Gesicht.
    »Nun, da ich w eiß, wie sich Zuneigung und Wärme anfühlen,
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