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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn
Autoren: Stefan Slupetzky
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hat die Papierrollen auf den Boden gelegt. Er steht jetzt mit ausgebreiteten Armen da und strahlt von einem Ohr zum anderen. «Ich wünsch euchvon Herzen das Beste, Leopold. Alles Gute, Frau Wallisch. Und dir, kleiner Mann», der Pater beugt sich vor und hält die Hand über den Kopf des Säuglings, «ein langes und erfülltes Leben in Christo   …»
    «Danke, Pater. Haben Sie vielen Dank», gibt Klara schmunzelnd zurück. «Nur: Frau Wallisch bin ich trotzdem keine. Mein Name ist Breitner, Klara Breitner. Weil der Poldi und ich, wir sind nicht verheiratet.»
    «Nicht?» Pius richtet sich auf und mustert das frischgebackene Elternpaar mit traurigen Blicken. «Na ja», meint er dann wieder fröhlicher, «vielleicht muss man nicht alles der Reihe nach machen, solang etwas Gutes herauskommt dabei   … Und wegen der Taufe: Wenn ihr wollt, kann ich den Kleinen gleich   …» Er hält inne, legt die Stirn in Falten und dreht lauschend den Kopf zur Seite: Durch das Eingangstor am anderen Ende der Arkaden dringt – noch leise, aber klar vernehmbar – der Klang eines Folgetonhorns.
    Irgendjemand hat die Rettung gerufen. Eine Rettung in mehrfacher Hinsicht: Zum einen enthebt sie den Lemming der peinlichen Pflicht, dem alten Pater zu gestehen, dass sein Sohn als Heide aufwachsen wird, zum anderen bedarf Klaras geschundener Schoß der medizinischen Versorgung. Schließlich sprengt der Vorgang der Geburt nicht nur die Grenzen der Vorstellungskraft. «Wie ein Kamel, das durch ein Nadelöhr geht», so hat es Klara einmal ausgedrückt. Dem Lemming hingegen war dieser Vergleich nicht blumig genug. «Ich hätte keine ruhige Nacht mehr», hat er mitfühlend geantwortet, «wenn ich wüsste, dass ich schon bald eine Kokosnuss scheißen muss   …»
    Es gibt also doch noch gute Geister hinter den verschlossenen Fenstern der Rossau. Ganz abgesehen von Pater Pius, der sich nun wieder umdreht und loseilt – nicht, um noch rasch geweihtes Wasser für die Taufe zu holen, sondern um die Sanitäter zu empfangen.
    Und ganz abgesehen natürlich von der fuchsroten Frau, die wohl von allen guten Geistern der beste ist.
    «Wie können wir Ihnen nur danken?», fragt Klara. «Wie heißen Sie eigentlich?», fügt sie hinzu.
    Zum ersten Mal zieht jetzt ein Lächeln über das schmale Gesicht der Frau. «Angela», antwortet sie, «Angela Lehner. Und wenn Sie mir danken wollen, dann   …» Sie verstummt und schüttelt errötend den Kopf.
    «Angela, das bedeutet doch Engel», meint der Lemming sanft. «Also sagen Sie schon: So schlimm kann der Wunsch eines Engels gar nicht sein.»
    «Ich   … Ich würde gern   … ab und zu wissen, wie es dem Kleinen so geht. Ihn vielleicht manchmal besuchen dürfen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich will mich nicht aufdrängen, und   … Ich bin auch keine von diesen, Sie wissen schon, diesen Verrückten, die anderer Leute Kinder entführen. Es ist nur, wie soll ich sagen   … Dieses Maiwunder hat mich wohl auch ein bisschen mitgenommen   …»
    «Sie müssen gar nichts erklären.» Der Lemming tauscht einen Blick mit Klara, die ihm begütigend zunickt. «Wann immer Sie wollen, Frau Lehner. Und so oft Sie wollen. Die Freunde unseres Sohnes sind uns jederzeit willkommen.»
    Wie zur Bekräftigung nimmt ihm nun Klara behutsam den Säugling ab und reicht ihn an Angela Lehner weiter. «Könnt sein, dass ihm jetzt schon ein bisserl kühl ist. Was meinen Sie?»
    Der Engel antwortet nicht. Im Gegenlicht des Atriums sieht es so aus, als breite er seine schützenden Schwingen über das Baby. Dabei fängt Angela Lehner nur damit an, es mit geübten, aber liebevollen Griffen in das klösterliche Klopapier zu wickeln.

3
    «Otto?»
    «Ohne mich. Ich bin einmal einem begegnet.»
    «Einem was?»
    «Na, einem Otto.»
    «Aha   …»
    «Nicht, was
du
denkst. Nein, das war ein widerlicher Kerl, so ein aufgedunsener Spanner mit Plattfüßen. Wenn ich den Namen nur höre   … Wie wär es mit Walter?»
    «Walter Wallisch! Wie das schon klingt: ein doppeltes Weh!»
    «Er wird aber Breitner heißen.»
    «Ja, ja, ich weiß schon. Aber   … vielleicht nicht für immer   …»
    «Kann es sein, dass ich mich grad verhört hab? Oder war das jetzt so etwas wie   … ein Heiratsantrag? Hat dir der gute Pius einen gebenedeiten Floh ins Ohr gesetzt?»
    «Hat er nicht. Also nicht wirklich, aber   …»
    «Aber?»
    «Nix aber. Man kann sich ja manchmal auch selbst zu etwas   … durchringen.»
    «Durchringen also.»
    «So
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