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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: Barry Eisler
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    DIE CIA HATTE MICH BEAUFTRAGT, Belghazi »in den Ruhestand zu versetzen«, nicht, ihn zu beschützen. Und wenn das nicht klappte, wäre der nächste Kandidat für eine Ruhestandsregelung wahrscheinlich ich selbst.
    Aus meiner Sicht jedoch tat ich Uncle Sam einen Gefallen, wenn ich Belghazi vor dem Typen rettete, den ich inzwischen »Karate« getauft hatte. Karate würde nämlich nicht dafür sorgen, dass es natürlich aussah, oder er würde geschnappt werden oder sich irgendeine andere Schlamperei erlauben, und dann würde es Missverständnisse geben, Verdächtigungen und Anklagen – genau die Art von Problemen, die die CIA vermeiden wollte, indem sie mich beauftragte.
    Außerdem war da natürlich noch die Frage meiner Bezahlung. Wenn Karate als Erster an Belghazi rankäme, wäre das doch ziemlich unfair, oder?
    Dieser Kerl war mir gleich verdächtig vorgekommen. Ich hatte ihn so getauft, als ich beobachtete, wie er Katas übte – genau festgelegte Bewegungsabläufe im Karate. Das war im Fitnessraum des Macau Mandarin Oriental, wo wir beide abgestiegen waren und wo Belghazi demnächst erwartet wurde. Er hatte die Ausdauergeräte und Krafttrainer ignoriert und vollführte stattdessen eine Serie von Schlägen, Abwehrblocks und Tritten in die Luft – was für einen Laien durchaus wie ein Kriegstanz hätte aussehen können. Seine Bewegungen waren eigentlich sehr gut – geschmeidig, routiniert und kraftvoll. Schon bei einem Zwanzigjährigen wären sie beeindruckend gewesen, aber dieser Bursche war bestimmt doppelt so alt.
    Ich selbst mache gelegentlich ganz ähnliche Übungen, wenn auch nicht so vorschriftsmäßig und durchstilisiert. Und wenn ich dieses Training mache, dann nie in der Öffentlichkeit. Das ist zu auffällig, vor allem wenn einer weiß, worauf er zu achten hat. Einer wie ich.
    In meiner Branche ist das Erregen von Aufmerksamkeit ein schwerwiegender Verstoß gegen die Gesetze der Vernunft und somit des Überlebens. Wenn du nämlich jemandem wegen einer bestimmten Sache auffällst, dann wird dieser Jemand höchstwahrscheinlich genauer hinsehen. Und dann könnte ihm noch etwas anderes auffallen. Ein Muster, das ansonsten schön versteckt geblieben wäre, nun aber deutlich hervortritt. Und plötzlich wird dein Mantel der Anonymität systematisch zerrissen, um neu gewebt zu werden, bis er eher einem Leichentuch ähnelt.
    Karate fiel auch deshalb auf, weil er ein Weißer war – Europäer, vermutete ich, obwohl ich nicht hätte sagen können, welcher Nationalität. Er hatte kurz geschnittenes, schwarzes Haar und einen blassen Teint, und wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, im Fitnessraum des Mandarin Oriental den Übergang vom Kiba-dachi zum Ushiro-geri zu üben, bevorzugte er leichte Schuhe mit dünner Sohle und maßgeschneiderte Sportsakkos. Macau hat etwa eine halbe Million Einwohner. Davon sind rund fünfundneunzig Prozent Chinesen, während nur ein kleiner portugiesischer Überrest den Interessierten daran erinnert, dass das Gebiet vor nicht allzu langer Zeit noch eine portugiesische Kolonie war. Selbst die Millionen Glücksspieltouristen im Jahr kommen fast alle aus dem nahen Hongkong, aus Taiwan und dem chinesischen Festland. Daher verschmelzen Nichtasiaten nicht unbedingt mit der Masse.
    Was wiederum ein Grund dafür war, warum die CIA unbedingt mich für den Belghazi-Auftrag haben wollte. Nicht nur, weil Belghazi einer der Hauptzulieferer für etliche fundamentalistische Gruppierungen in Südostasien geworden war, die Uncle Sam seit dem 11. September als ernsthafte Bedrohung betrachtete. Und nicht nur, weil mein nachgewiesenes Geschick für vermeintlich »natürliche« Todesfälle in diesem Fall erforderlich sein würde, da Belghazi allem Anschein nach Beschützer bei verbündeten Regierungen hatte, die Uncle Sam lieber nicht vor den Kopf stoßen wollte. Nein, auch weil der Job voraussichtlich in einem asiatischen Umfeld zu erledigen war und Unauffälligkeit verlangen würde. Und obwohl meine Mutter Amerikanerin war, ist mein Gesicht doch hauptsächlich von den japanischen Zügen meines Vaters geprägt – eine Folge des genetischen Zufalls, dem ich vor einigen Jahren durch eine gezielte plastische Operation etwas nachgeholfen habe, um in Japan noch weniger aus dem optischen Rahmen zu fallen.
    So kam es, dass Karate sich mit seinem auffälligen Äußeren und den Kata- Übungenauf meinen Radarschirm manövriert hatte, und von da an registrierte ich einiges mehr. Zum Beispiel, dass er sich
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