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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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ZUEIGNUNG
    WAS TUE ich, wenn ich von dir spreche. Ich habe das Gefühl, als dürfte ich kein Wort von dir verlauten lassen, ja, nicht zu deutlich an dich denken. Ich nenne dich »du«, als wärst du ein Wesen, Tier Pflanze Stein wie ich. Da sehe ich schon meine Hilflosigkeit und daß jedes Wort vergebens ist. Ich will nicht wagen euch nahe zu treten, ihr Ungeheuren, Ungeheuer, die mich auf die Welt getragen haben, dahin, wo ich bin und wie ich bin. Ich bin nur eine Karte, die auf dem Wasser schwimmt. Ihr Tausendnamigen Namenlosen hebt mich, bewegt mich, tragt mich, zerreibt mich.
    Ich habe schon Vieles geschrieben. Nur herumgegangen bin ich um euch. Mit Angst habe ich mich vor euch entfernt. In meiner Demut vor euch war Angst vor Lähmung und Betäubung. Immer habe ich euch, ich gestehe es, als Schreckliches in einem dunklen Winkel des Herzens gehabt. Da hatte ich euch verborgen, hielt die Türe zu.
    Jetzt spreche ich – ich will nicht du und ihr sagen – von ihm, dem Tausendfuß Tausendarm Tausendkopf. Dem, was schwirrender Wind ist. Was im Feuer brennt, dem Züngelnden Heißen Bläulichen Weißen Roten. Was kalt und warm ist, blitzt, Wolken häuft, Wasser heruntergießt, magnetisch hin- und herschleicht. Was sich in Tieren sammelt, in ihnen die Schlitzaugen nach rechts und links bewegt auf ein Reh, daß sie springen schnappen, die Kiefern öffnen und schließen. Von dem, was dem Reh Furcht macht. Von seinem Blut, das fließt und das das andere Tier trinkt. Von dem Tausendwesen, das in den Stoffen Steinen Gasen haucht, raucht, sich löst, verbindet, verweht. Immer neuer Hauch und Rauch. Immer neues Prasseln Verschmelzen Verwehen.
    Jede Minute eine Veränderung. Hier wo ich schreibe, auf dem Papier, in der fließenden Tinte, in dem Tageslicht, das auf das weiße knisternde Papier fällt. Wie sich das Papier biegt, Falten wirft unter der Feder. Wie die Feder sich biegt, streckt. Meine führende Hand wandert von links nach rechts, nach links vom Zeilenende zurück. Ich spüre am Finger den Halter: das sind Nerven, sie sind vom Blut umspült. Das Blut läuft durch den Finger, durch alle Finger, durch die Hand, beide Hände, die Arme, die Brust, den ganzen Körper, seine Haut Muskeln Eingeweide, in alle Flächen Ecken Nischen. So viel Veränderung in diesem hier. Und ich bin nur ein Einzelnes, ein winziges Stück Raum. Auf meinem Tisch, dem weißen Tuch verwelken drei gelbe Tulpen, jedes Blatt daran unübersehbar reich. Daneben grüne Blätter von Weißdorn Rotdorn. Unten auf dem Rasen Stiefmütterchen Vergißmeinnicht Veilchen. Es ist Mai. Ich habe nicht gezählt, wie viele Bäume Blumen Gräser in den Anlagen stehen. An jedem Blatt Stengel Wurzelschaft geschieht sekundlich etwas.
    Da arbeitet das Tausendnamige. Da ist es.
    Singen der Drosseln, Rasseln Schmettern der Schienen: da ist es.
    Stille, mit einer Bewegung gefüllt, die ich nicht höre, von der ich doch weiß, daß sie abläuft: da ist es. Das Tausendnamige. Sich unaufhörlich Wälzende Drehende Aufsteigende Zurückfallende sich Kreuzende.
    Ich gehe auf dem weichen wippenden Boden am flachen Ende des Schlachtensees. Drüben die Tische Stühle der Alten Fischerhütte, Dunst über dem Wasser und Schilf. Am Boden der Luft gehe ich. Eingeschlossen in diesem Augenblick mit Myriaden Dingen an dieser Ecke der Welt. Wir sind zusammen diese Welt: weicher Boden Schilf See Stühle Tische der Fischerhütte, Karpfen im Wasser, Mücken darüber, Vögel in den Gärten der Villen von Zehlendorf, Kuckucksruf Gräser Sand Sonnenlicht Wolken Angler Angelrute Leinen Haken Köder Kindergesang Wärme elektrische Spannung der Luft. Wie blendend tobt oben die Sonne. Wer ist das. Welche Masse Sterne toben neben ihr, ich seh’ sie nicht.
    Die dunkle rollende tosende Gewalt. Ihr dunklen rasenden, ineinander verschränkten, ihr sanften wonnigen kaum ausdenkbar schönen, kaum ertragbar schweren nicht anhaltenden Gewalten. Zitternder greifender flirrender Tausendfuß Tausendgeist Tausendkopf.
    Was habt ihr mit mir vor. Was bin ich in euch. Ich muß sprechen von euch, was ich fühle. Denn wer weiß wie lange ich noch lebe.
    Ich will nicht aus diesem Leben gegangen sein, ohne daß sich meine Kehle geöffnet hat für das, was ich oft mit Schrekken, jetzt stille, lauschend, ahnend empfinde.

ERSTES BUCH  DIE WESTLICHEN KONTINENTE
    ES LEBTE niemand mehr von denen, die den Krieg überstanden hatten, den man den Weltkrieg nannte. In die Gräber gestürzt waren die jungen Männer, die aus den
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