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Leichenschänder

Titel: Leichenschänder
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Sonne scheint, ignorierten. Ich wusste aus eigener Erfahrung, wie anstrengend und monoton es war, Werbezettel zu verteilen. Irgendwann hängte man die Dinger einfach irgendwo hin, selbst wenn es sich um die Nase einer eben aus der Tür kommenden Hausfrau handelte.
    Ich stand auf, streckte mich, zündete mir eine Zigarette an und schaute aus dem Fenster. Weiße Wattewolken flitzten über einen hellblauen Himmel, manchmal kurz von den dreckigen Rauchschwaden eines rußenden Kamins begleitet. In braune und lodengrüne Mäntel verhüllte Menschenklumpen hasteten die Straße entlang, gräulich weiße Atemwolken vor sich hertreibend. Ein Blick auf mein Außenthermometer sagte mir, dass es minus zehn Grad hatte. Selbst für einen Februartag im nicht gerade für seine Milde bekannten Wiener Winter war das verdammt kalt.
    Ich setzte mich wieder hin und überlegte, womit ich den heutigen Abend verschwenden sollte: Kino, Fernsehen oder mich betrinken. Ich entschied mich für eine Kombination aus Nummer eins und Nummer drei.
    Ich zerrte die aktuelle Ausgabe der Wiener Stadtzeitung
Falter
aus einem Stapel Fotomagazine und durchstöberte das Kinoprogramm. Es bestand aus einer homogenen Mischung Hollywoodscheiße, Wiederholungen uralter Schinken, die unter dem euphemistischen Namen
Retrospektive
liefen, und ausländischen Experimentalfilmen mit ausgeprägtem Symbolcharakter. So ausgeprägt, dass im Kinoprogramm extra darauf hingewiesen wurde, weil man ihn sonst übersah. Den einzigen Lichtblick bildete Abel Ferraras
Snake Eyes
. Ich rief im Kino an und reservierte eine Karte.
    Ich ging zum Bett und schaltete wider besseres Wissen das Radio ein. Ein Moderator kämpfte gerade gegen die Tücken der deutschen Sprache. Nach zwei Minuten hatte ich die Schnauze voll von seinem Gestammel und zog den Stecker. Ich schnappte mir ein Buch, legte mich unter die Decke und verbrachte die nächsten Stunden damit, meine Bildungslücken hinsichtlich harter Kriminalromane zu füllen.
    Gegen halb sieben bekam ich Hunger. Ich durchforstete meinen Kühlschrank, teilte dessen Inhalt ein in
Gerade noch genießbar
und
Lebensmittelvergiftung garantiert
und entschied mich schließlich für eine Packung tiefgefrorenen Spinats, die ich mit Mühe aus dem defekten Tiefkühlfach stemmte. Ein paar Vitamine und Mineralstoffe konnten nicht schaden. Zufällig fiel mein Blick auf die Liste der Zusatzstoffe; sie war länger als die Beine von Claudia Schiffer. Als ich die Packung umdrehte, stach mir ein grünweißer Schriftzug ins Auge.
Reines Naturprodukt
.
    Aber sicher. Das Zeug war so natürlich wie der Vorbau von Pamela Anderson, aber in Ermangelung weniger gesundheitsgefährdender Alternativen taute ich den grünlichen Klumpen Chemienatur auf und schlang ihn mit Todesverachtung hinunter. Für diese Leistung hätte ich eigentlich den John-Wayne-Scherenschnitt verdient gehabt.
    Satt, aber nicht gesättigt, durchstöberte ich die drei Obstkisten, die meine Plattensammlung enthielten, und entschied mich für die erste LP von
Unsane
. Ich stellte mich ans Fenster, rauchte und betrachtete die Wolkenfetzen, die im Licht der Laternen zur Musik zu tanzen schienen.
     ♦ ♦ ♦
    Zehn nach neun. Eigentlich viel zu früh, um auszugehen, aber mir fiel ums Verrecken nichts mehr ein, womit ich die Zeit noch hätte totschlagen können, also packte ich mich dick ein, um gegen die Saukälte gewappnet zu sein, und machte mich auf den Weg zur Straßenbahnhaltestelle. Der eisige Wind, der mir ins Gesicht blies, war mörderisch.
    Wie als Zeichen der Existenz himmlischer Mächte erschien die Straßenbahn genau in dem Moment, in dem ich im Geiste die Nummer der Erfrierungsabteilung raussuchte. Ich quetschte mich in den vollen Wagen und versuchte, den Geruch muffiger Pelzmäntel und feuchter Schals so gut es ging zu ignorieren. Es gelang mir beinahe.
    Nach zehnminütiger Fahrt stieg ich in der Kaiserstraße aus und marschierte durch die eisige Kälte Richtung
Erika-Kino
. Außer mir war kein Mensch unterwegs.
    Beim Kino angekommen, riss ich die klemmende Schwingtür auf, suchte den Kartenschalter auf, der sich den Platz mit dem Süßigkeitenstand teilte, nahm meine Karte in Empfang und ließ mich halb erfroren auf eine der orangefarbenen Bänke des Vorsaals fallen. Mit steifen Fingern knöpfte ich meinen Mantel auf, zerrte mir den Schal vom Hals und blies ein paar Mal auf meine eiskalten Hände. Langsam wurde mir wärmer.
    Ich lehnte mich zurück und schaute mich um. Außer mir waren
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