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Leichenschänder

Titel: Leichenschänder
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Dran!
zu, Heimat zweitklassiger Journalisten, drittklassiger Grafiker und viertklassiger Fotografen. Vermutlich der grindigste Arbeitsplatz von ganz Wien.
    Mein Arbeitsplatz.
    Und dabei konnte ich von Glück reden, dass ich es überhaupt bis hierher geschafft hatte.
     ♦ ♦ ♦
    Als meine Eltern bei einem nicht sonderlich originellen Autounfall ums Leben gekommen waren, stand ich von einem Tag auf den anderen ohne einen einzigen Verwandten da. Und da ich erst zehn Jahre alt war, landete ich im Heim.
    Wer wie ich seit frühester Kindheit mit ansehen musste, wie sich Erwachsene gegenseitig Bierflaschen auf den Schädel schlugen und sich anschließend blut- und tränenüberströmt wieder um den Hals fielen, konnte weder mit fixen Essens-, Schlafens- und Lernzeiten etwas anfangen noch mit den Gebeten der Nonnen, die im Heim den Ton angaben. Gott war eine Lüge, an die sich nur schwache Menschen klammerten, das war mir schon früh bewusst. Wenn du ein Problem hast, lös es selbst und scheiß auf die Regeln, denn du hast sie nicht gemacht.
    Im Heim herrschte eine unumstößliche Hackordnung, die bei den Herrschern der Schlafsäle anfing und bis zu den Erziehern und Nonnen hinaufreichte.
    Wir schliefen in düsteren Sälen, in denen zwanzig Stockbetten standen, und in jedem Saal gab es einen Typen, der sich durch viel Muskeln und wenig Hirn auszeichnete. Mithilfe von zwei oder drei Verbündeten terrorisierte er die restlichen Insassen und nahm ihnen Geld, Fresspakete und Kleidungsstücke ab. Wer nicht parierte, wurde vor versammelter Mannschaft verdroschen. Zwei oder drei Abreibungen genügten, um den Rest der Meute zu überzeugen, dass es besser sei, sich von seinen verwandtschaftlichen Gunstbezeugungen zu trennen als von seinen Zähnen. Da ich keine Verwandten hatte, blieb ich einige Zeit von diesen demütigenden und schmerzhaften Ritualen verschont, was mir bei meiner mickrigen Statur nur recht war.
    Eines Tages wurde der Junge, der unter mir im Stockbett schlief, in ein anderes Heim verlegt und schenkte mir zum Abschied sein Radio. Dieses Radio wurde rasch mein ganzer Stolz. Zum ersten Mal in meinem Leben besaß ich etwas, das mir ganz allein gehörte, etwas, das ich nicht teilen musste.
    Eines Tages stand Walze vor meinem Bett, flankiert von seinen beiden Helfern, und verlangte mein Radio. Walze war zwei Jahre älter als die meisten von uns und wog mindestens hundert Kilo. Er hatte das Gehirn einer Brieftaube und das Seelenleben eines Pflastersteins. Es hieß, seine Eltern hätten ihn von Geburt an misshandelt. Im Heim war er rasch in die Rolle des Peinigers geschlüpft, der sein Wissen, wie man andere quälte, lustvoll in die Praxis umsetzte.
    Als ich mich weigerte, das Radio herauszurücken, packten mich die beiden anderen Arschlöcher und wollten mich in den Waschraum schleppen, von wo man meine Schreie nicht bis zum Aufenthaltsraum der Erzieher hören würde. Ich zappelte, schrie und tobte und krallte mich schließlich mit der linken Hand am Türrahmen fest. Ich würde diesen verdammten Rahmen nicht mehr loslassen, selbst wenn sie mir die Hand abhackten! In meiner Angst und Verzweiflung bekam ich ungeahnte Kräfte, und die beiden Arschlöcher schafften es nicht, mich loszureißen.
    Daraufhin wurde Walze zuerst rot im Gesicht und dann blass, bevor er die schwere Stahltür mit einem gewaltigen Tritt seines Stiefels auf meine Finger krachen ließ. Ich hörte ein helles Knacken, spürte einen scharfen Schmerz, der höllischer war als alles, was ich bis dahin erlitten hatte, und wurde ohnmächtig.
    Auf der Krankenstation kam ich wieder zu mir. Mein linker Arm war fast bis zum Ellbogen dick einbandagiert. Ich fühlte mich schwammig und konturlos, was ich auf die schmerzstillenden Medikamente zurückführte.
    Irgendwann tauchte ein Arzt auf, redete ein Weilchen um den heißen Brei herum und teilte mir schließlich mit, dass man mir die ersten beiden Glieder meines linken kleinen Fingers hatte abnehmen müssen. Die schwere Stahltür hatte die Knochen dermaßen zerquetscht, dass sie nicht mehr zu retten gewesen waren.
    Die Medikamente verhinderten, dass ich auch nur die geringste emotionale Regung spürte. Gut, ich hatte eine verstümmelte linke Hand, aber die Wunde würde abheilen und mit der Zeit würde ich mich an die Verkrüppelung gewöhnen.
    Der Arzt wollte wissen, wie es zu dem Unfall gekommen war. Ich tischte ihm eine Lügengeschichte auf, in der meine Ungeschicklichkeit die Hauptrolle spielte, und erwähnte
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