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Leichenschänder

Titel: Leichenschänder
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Eins
    Acht Uhr morgens, und die Kälte knallte mir ins Gesicht wie ein Faustschlag. Ich schoss vom Bett hoch und brachte den lärmenden Wecker mit einer ungestümen Handbewegung zum Verstummen. Dank dieses Importdrecks, der nur nach Lust und Laune zur eingestellten Zeit losheulte, würde ich diese Woche zum dritten Mal hintereinander zu spät kommen.
    Mit klappernden Zähnen schloss ich das Fenster, das ich in der Nacht alkoholumnebelt geöffnet hatte, um kurz zu lüften. Allerdings war ich dann eingeschlafen, und deshalb war es jetzt in meiner Wohnung kälter als im Arsch eines toten Huskys.
    Um für ein bisschen Wärme zu sorgen, wollte ich den Ofen anzünden, stellte aber zu meiner Freude fest, dass dessen Boden mehrere Zentimeter hoch mit penetrant riechendem Heizöl bedeckt war, das ich in meinem nächtlichen Rausch wohl hatte einlaufen lassen. Hätte ich den Ofen jetzt angezündet, wäre er mir um die Ohren geflogen. Ich würde das Drecksding mit einer Konservendose ausschöpfen müssen.
    Ein Tagesanfang nach meinem Geschmack.
    Ich schlüpfte in meinen löchrigen Morgenmantel und rief in der Redaktion an, um meine Verspätung anzukündigen. Huber, mein Boss, brüllte mir ins Ohr, ich solle in einer halben Stunde in seinem Büro auftauchen, andernfalls würde er meinen Arsch über einem Maronibrater rösten. Seine Standpauken waren auch schon mal origineller gewesen.
    Ich beschloss, die Sache mit dem Ofen später zu erledigen, sprang kurz unter die Dusche, suchte meine Klamotten zusammen und schaute mich nach meiner Fotoausrüstung um.
    War das eine Nacht gewesen! Ich war in der
Blue Box
gestrandet und hatte mich nicht lange mit Alibi-Bieren aufgehalten, bevor ich auf Tequila umgestiegen war. Im hinteren Teil des Lokals tanzten drei Männer auf einer improvisierten Bühne, während aus wattstarken Boxen ein Song dröhnte, dessen gesamter Text aus einem gestöhnten
Fuck me, baby!
bestand. Die Tänzer waren als Torte, Paket und Hamster verkleidet und schwitzten in ihren Kostümen vermutlich mehr als die Teilnehmer einer Saunasexorgie.
    Irgendwann stand diese ganz in Schwarz gekleidete junge Frau neben mir, blies mir Zigarrenrauch ins Gesicht und stellte sich als Ruby vor. Ein paar Tequilas später hatte ich ihre Unterarme auf meinen Schultern und kurz darauf ihre Zunge in meinem Mund. Wir knutschen eine Zeitlang an der Bar herum und landeten schließlich gegen drei Uhr morgens in meiner Wohnung, wo wir die Whiskeyflasche leerten, die ich mir selbst zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Ruby erzählte mir, dass sie eigentlich Maria Pichelsteiner hieß, und im grellen Licht meiner Nachttischlampe sah sie auch genau so aus. Ein kleiner Provinztrampel, der sich in teure, aufwendig zerlumpte Designerklamotten hüllte und versuchte, seinen Bauerndialekt so gut es ging zu kaschieren. Fast konnte ich noch die Kuhscheiße an ihren filigranen Stiefeletten riechen.
    Wir fielen wortlos übereinander her und schliefen anschließend ebenso wortlos ein.
    Im Morgengrauen stahl sie sich aus meinem Bett und wahrscheinlich auch aus meinem Leben. Sie ließ zwar einen Zettel mit ihrer Telefonnummer auf dem Nachttisch zurück, aber wir wussten beide, dass ich mich nicht melden würde – sie kannte das Spiel ebenso gut wie ich.
    Während ich mir mit der Rechten die Bartstoppeln aus dem Gesicht schabte, klaubte ich mit der Linken meine Fotoausrüstung zusammen, dann schlug ich die Tür hinter mir zu und hetzte zur U-Bahn.
    Als mein Arsch nicht mehr viel wärmer war als eine tiefgekühlte Frühlingsrolle, kam endlich die U3. Ich stieg ein und suchte mir einen Platz ganz hinten in der Ecke des Waggons. Ein schäbig gekleideter Mann setzte sich mir gegenüber, breitete ein
täglich Alles
auf seinem Schoß aus und enträtselte mithilfe eines abgegriffenen Fremdwörterlexikons seine fordernde Lektüre. Die Denkfalten auf seiner Stirn sahen aus wie eingemeißelt. Der Philosoph verließ mich am Westbahnhof mit konfusem Gesichtsausdruck. Ich konnte seine Verwirrung nachvollziehen. War wirklich verdammt harte Kost, die er da las, so früh am Morgen.
    Am Stephansplatz stieg ich aus und bahnte mir den Weg durch Horden anzugtragender Managertypen, die so individuell wirkten wie Hefezellen – und ähnlich intelligent. Ich warf einen kurzen Blick auf meine Uhr; fünf vor halb neun. Mit ein bisschen Glück konnte ich meinen Arsch einer Röstung entziehen.
    Ich bog in den Graben ein und steuerte auf die Redaktion der Boulevardzeitung
Voll
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