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Leichenschänder

Titel: Leichenschänder
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Sekretärin, die aussah, als hätte sie die meisten der Apostel noch persönlich gekannt, schaute von ihrem Computer auf und warf mir einen tadelnden Blick zu.
    „Ich weiß schon“, sagte ich, „der Boss ist stinksauer und er hat wieder mal gedroht, mich rauszuschmeißen. Im Übrigen muss ich mich noch eine Weile gedulden, weil er gerade eine Besprechung hat.“
    Frau Eisenhut starrte mich an wie ein Karpfen, der sich plötzlich, vertrauten feuchten Gefilden entrissen, in einem Wok wiederfindet, schüttelte verärgert den Kopf und wandte sich wieder ihrem Computer zu.
    Ich konnte mir schon denken, welcher Art Hubers Besprechung war. Wenn man eine einundzwanzigjährige Praktikantin mit den Maßen neunzig-sechzig-neunzig hatte, waren mit Sicherheit etliche Unterredungen notwendig, um ihr klarzumachen, dass einen die Ehefrau nicht versteht, die Kinder einen hassen und man dringend ein bisschen Trost benötigt. Dieses Spielchen lief schon seit Monaten. Ich vermutete, dass Huber noch nicht mal einen Kuss bekommen hatte, Frau Sommer, die Praktikantin, hingegen schon drei Gehaltserhöhungen.
    Ich schnappte mir eine Zeitung vom gläsernen Beistelltisch und blätterte sie durch. Ab und zu stieß ich auf ein Foto, das ich gemacht hatte. Die meisten davon waren ziemlich schlecht, sie passten also genau zu den Texten.
    Ein Artikel fiel mir ins Auge: Eine Reihe bestialischer Tiermorde sorgte in Wien für Aufregung. Ein offensichtlich geistesgestörter Täter schlich sich nachts in Gärten stadtauswärts gelegener Villen und massakrierte Hunde und Katzen. Die Polizei fand an jedem Tatort ein blutverschmiertes Einwickelpapier für Hamburger und mutmaßte deshalb, dass es sich beim Täter um einen fanatischen Vegetarier handelte, der vorsätzlich Tierleid verursachte, um damit auf das Tierleid bei der Fleischproduktion aufmerksam zu machen. Sie riet allen Hunde- und Katzenbesitzern, ihre Lieblinge im Haus zu behalten, bis der Wahnsinnige gefasst worden war.
    Der Artikel war mit ein paar unscharfen Aufnahmen von angeblich verstümmelten Hunden und Katzen aufgefettet, aber die Bilder waren so grobkörnig, dass es sich genauso gut um tote Ratten, zusammengekehrtes Laub oder die Reste eines Lagerfeuers hätte handeln können.
    Glitzermanns Werk.
    Glitzermann lieferte derart miese Bilder ab, dass der arme Fischl im Layout oft nicht mal wusste, wo oben und unten war, geschweige denn, was das Bild eigentlich darstellen sollte. Was Glitzermann natürlich zum Topfotografen von
Voll Dran!
machte.
    Die Tür des Chefbüros wurde schwungvoll geöffnet und Alfred „Glitterfreddy“ Glitzermann trat heraus und breitete sich mit seinem öligen Charme vor mir aus. Seine Haare pappten ihm am Schädel wie angetackert, sein aufdringliches Parfüm war eine Bedrohung für die Blumen von Frau Eisenhut und sowohl seine grellen, von keinerlei Stilsicherheit bedrohten Klamotten als auch sein großzügig applizierter Schmuck konnten Hornhautkrebs verursachen.
    „Der Boss ist ganz schön sauer auf dich“, sagte er. „Beim nächsten Mal fliegst du, aber hochkant!“
    Ich sah ihm deutlich an, wie sehr ihn diese Möglichkeit freute. Glitzermann wusste, dass er ein mieser Fotograf war, und er wusste auch, dass ich es wusste. Er hoffte nur, dass der Boss es nicht irgendwann kapierte, aber bei Hubers Intelligenz wäre wohl eine Reinkarnation nötig, denn ein Leben reichte dazu bestimmt nicht aus.
    Ich legte die Zeitung zur Seite und sagte: „Bist du jetzt sein Sprecher? Das offizielle Organ von
Voll Dran!
? Oder verschaffst du nur deinen geheimen Wünschen Luft?“
    Glitterfreddy atmete tief ein, wedelte mit seinem Zeigefinger vor seinem Bauch herum und suchte krampfhaft nach einer originellen Antwort, als Frau Eisenhut rief: „Herr Glitzermann! Der Grafiker möchte Sie sehen, sofort!“
    „Wir sprechen uns noch“, sagte Glitterfreddy, strich seine Haare zurück, wischte sich eine üppige Portion Gel auf die Hose und stolzierte hinüber zum Layoutraum. Er funkelte wie eine brennende Wunderkerze.
    Ich schnappte mir wieder meine Zeitung und las einen Artikel über eine Demonstration gegen ein schärferes Abtreibungsgesetz anlässlich einer Wahlkampfrede eines christlich-konservativen Politikers namens Steinkopf, der in letzter Zeit auch des Öfteren in den Fernsehnachrichten zu sehen gewesen war.
    Steinkopf forderte den Schutz des ungeborenen Lebens und betonte, dass die Frauen gerade in der heutigen Zeit eine besondere Verantwortung hätten. In einem
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