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Leichenschänder

Titel: Leichenschänder
Autoren: Jürgen Benvenuti
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separaten Kasten gab es ein Portrait des
vorbildlichen Politikers, Menschen und Vaters
.
    Zweieinhalb Spalten schleimte sich Huber höchstpersönlich über Steinkopfs unermüdlichen Einsatz zum Schutz des ungeborenen Lebens aus und würdigte seine ausgeprägte Menschlichkeit und seine Aufopferungsbereitschaft. Steinkopf hatte, so erfuhr ich, eine neunundzwanzigjährige Tochter, die an einem schweren Herzleiden laborierte, und es war fraglich, ob sie durchkam, wenn ihr nicht bald ein Spenderorgan implantiert wurde.
    Ich warf die Zeitung zurück auf den Tisch und gähnte ausgiebig. Dieser verdammte Huber! Beorderte mich extra für halb neun zu sich und ließ mich dann ewig warten.
    Die Tür des Büros ging auf und Frau Sommer flitzte mit hochrotem Gesicht und unordentlichem Haar heraus.
    Frau Eisenhut zeigte zum Büro und sah mich streng an. Nun ging es um
meinen
Arsch. Ich klopfte kurz an die Tür und trat dann ein, ohne auf ein
Herein
zu warten.
    Huber drehte sich samt seinem protzigen Chefsessel zu mir um und fauchte mich an: „Wie oft habe ich Ihnen schon erklärt, dass Sie erst hereinkommen sollen, wenn ich es Ihnen sage, verdammt noch mal!?“ Er hatte rote Flecken im Gesicht, seine Stirn war von einem Fettfilm überzogen und auf seiner Wange prangte ein frischer Kratzer. Frau Sommer hatte sich offensichtlich gut geschlagen. Huber deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und krempelte die Ärmel seines Sakkos hoch.
    Ich setzte mich auf das unbequeme, teuer aussehende Stahlrohrgeflecht und zündete mir eine Zigarette an.
    „Das war heute das letzte Mal, dass Sie zu spät gekommen sind, haben Sie mich verstanden?“, brüllte Huber los. „Sie sind fester Mitarbeiter, und als solcher haben Sie verdammt noch mal um Punkt acht Uhr hier zu sein! Und wenn Ihnen das nicht passt, können Sie sich einen neuen Job suchen! Jemanden wie Sie habe ich in zehn Sekunden ersetzt.“
    Ich schaute demonstrativ auf die Uhr und zählte halblaut die Sekunden.
    „Treiben Sie es nicht zu weit, Breitmaier, ich warne Sie!“ Huber drehte sich um, nahm eine Zeitung von seinem Chefschreibtisch, auf dem leise ein Laptop summte, und warf sie mir zu. „Warum bringen Sie mir nicht mal solche Fotos?“ Er tippte auf den Tiermord-Artikel. „Die sind von Glitzermann. Er ist immer zur Stelle, ist immer am Drücker. Schauen Sie sich diese Bilder an! Was glauben Sie, um wie viel die Auflage in die Höhe geschossen ist, seit dieser Irre in Wien Hunde und Katzen abschlachtet?“
    Ich sagte, ich hätte nicht die geringste Ahnung.
    „Natürlich nicht“, fuhr Huber fort. „Die Dinge, von denen Sie eine Ahnung haben, lassen sich auf einen Bierdeckel schreiben! Ich will Ihnen mal was sagen, mein Lieber: Ein erfolgreiches Boulevardblatt braucht sechs Rubriken. Erstens: ein ausführliches Horoskop. Zweitens: ein ausführliches Fernsehprogramm. Drittens: eine ausführliche Wetterprognose. Viertens: Schicksalsschläge und Prominente, am besten miteinander verbunden. Fünftens: einen ausführlichen Sportteil. Und sechstens …“ Er machte eine dramaturgische Pause und sah mich fragend an.
    Ich runzelte die Stirn, zog die Augenbraue hoch und erklärte Huber abermals, dass ich nicht den blassesten Schimmer hätte.
    „… und sechstens: eine ausführliche Tierrubrik.“ Dann fügte er mit süffisantem Grinsen hinzu: „Ein bisschen nacktes Frauenfleisch kann natürlich auch nicht schaden, als schmückendes Beiwerk.“
    Ich rutschte unbehaglich auf meinem Stuhl hin und her und fragte mich, worauf Huber hinauswollte und warum, zur Hölle, er mich zu sich beordert hatte.
    Er lächelte mich ohne Wärme an und sagte: „Warum bringen Sie mir nicht mal eine komplette Story, Breitmaier? Fotos im Stil von Glitzermann und dazu ein bisschen Text.“
    „Ich bin Fotograf, kein Schreiberling, Herr Huber. Und Bilder wie die von Glitzermann würde ich nicht mal zustande bringen, wenn ich beim Knipsen die Augen geschlossen hätte.“
    Huber warf sich in die Brust und dröhnte: „Fotograf, Journalist, wo ist da der Unterschied? Die einen drücken an einer Kamera herum, die anderen auf einer Computertastatur. Versuchen Sie sich doch mal an einer Story, Breitmaier. Fangen Sie mit einer kleinen an, und wer weiß, vielleicht liegt Ihnen das Schreiben im Blut?“ Er schaute mich Einverständnis heischend an.
    „Ich weiß nicht so recht, Herr Huber. Ich bin nicht gerade gut in Deutsch. Sie wissen schon, Rechtschreibung, Ausdrücke und so
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