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Leiche in Sicht

Leiche in Sicht

Titel: Leiche in Sicht
Autoren: Nancy Livingston
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nicht gab, vielmehr ringsum nur undurchdringliche
Wasserwände. Die Isle of Wight war vollständig verschwunden.
    «Wir haben beinahe Windstärke acht»,
brüllte Frank, «deshalb werden wir das Einüben des Mann-über-Bord-Manövers
heute mal weglassen.»
    Eine von Sturmböen begleitete Wolke
verdunkelte den Himmel. Die Dünung wurde stärker. Mr. Pringle hatte kaum noch
genug Kraft, die Pinne zu halten, ihm war, als würden ihm die Arme aus den
Schultergelenken gerissen. Matthew tauchte in der Luke auf und drückte ihm
etwas in die Hand.
    Stullen! Doch im nächsten Moment waren
sie seinen tauben Fingern schon wieder entglitten, trieben zwei, drei Minuten
auf dem mit Wasser bedeckten Boden der Plicht und lösten sich dann allmählich
auf. Am Ende blieb nur etwas Käse übrig und ein unappetitlicher, graufarbener
Brei. Der Verlust der Brote gab ihm irgendwie den Rest.
    Unbemerkt von ihm, war Elizabeth
hergekommen und saß plötzlich ihm gegenüber. Sich mit beiden Beinen abstützend,
übernahm sie die Pinne. Beinahe empört stellte er fest, daß sie lächelte.
    «Läuft sie nicht prächtig bei diesem
Wetter?» rief sie. Er war sprachlos. Daß es tatsächlich jemanden gab, der an so
einer Tortur Spaß haben konnte... «Wir segeln übrigens nicht nach Cowes...
Yarmouth ist besser, ein hübscherer Hafen.» Er glaubte ihr kein Wort. Sie
versuchten, um ihn zu schonen, die Wahrheit vor ihm zu verheimlichen, daß es
nämlich keine Rettung mehr für sie gab.
    Plötzlich begannen Frank und Matthew in
höchster Eile aus den Schapps der Plicht Teile der zum Boot gehörenden
Ausrüstung hervorzuzerren. Frank griff nach dem Ruder, und Elizabeth eilte nach
unten. Hektisch drehte sie den Zündschlüssel im Schloß. Mr. Pringle dämmerte,
daß offenbar der Motor nicht ansprang.
    «Hier! Befestigen Sie das am Bug, aber
schnell!»
    Den Fender unter dem Arm, begab sich
Mr. Pringle nach vorn. Das Anbringen des Fenders geschah mittels eines
speziellen Knotens. Mr. Pringle erinnerte sich, darüber gelesen zu haben. Auf
dem Vordeck war es ausgesprochen ungemütlich. Als eine Welle ihm die Füße
wegriß, kroch er vorsichtshalber auf allen vieren weiter, bis er den Bugkorb
erreicht hatte. Er setzte sich rittlings, seine gespreizten Beine baumelten
rechts und links ins Leere. Trotz aller Mühe kam er mit dem Knoten nicht
zurecht und band statt dessen eine Schleife. Er war gerade damit fertig, da
geriet die Yacht ins Stampfen, und er war plötzlich unter Wasser! Es kamen ihm
jedoch nicht alte Erinnerungen, sondern ganz banal Reste der letzten Mahlzeit hoch.
Nach Luft ringend, tauchte er schließlich wieder auf und glaubte einen Moment
lang, seinen Augen nicht zu trauen: Er hatte nackte Füße! Sowohl die geborgten
Stiefel als auch seine Socken waren einfach weg.
    Sie fuhren direkt auf eine Mole zu.
Eine Gruppe von Leuten winkte, als sie ihrer ansichtig wurde. Um nicht
unhöflich zu wirken, ließ Mr. Pringle den Fender los, hob eine Hand und winkte
zurück. Der Fender verschwand auf Nimmerwiedersehen. Sie waren jetzt so dicht
vor der Mole, daß er, wenn er den Arm ausgestreckt hätte, den Leuten die Hände
hätte schütteln können. Plötzlich begann das Deck unter ihm zu vibrieren. Die
Maschine war angesprungen — gerade noch rechtzeitig.
    Sie liefen zurück in Richtung auf die
offene See, fuhren eine enge Kurve und liefen dann erneut auf die Küste zu —
diesmal jedoch parallel zur Mole. Sie schossen durch eine Öffnung in der grauen
Seewand, und auf einmal schien alles wie verwandelt: kein Getöse, kein Röhren,
nichts als ungetrübte Ruhe — sie waren im Hafen.
    Die anderen drei eilten geschäftig hin
und her, doch Mr. Pringle blieb, wo er war. Erschöpft lehnte er den Kopf gegen
den Korb. Langsam glitten sie an ihren Liegeplatz, und Mr. Pringle sah, daß vom
Masttop der Yacht neben ihnen die deutsche Flagge wehte. Das vordere Luk wurde
aufgestoßen, und der Ausländer starrte zu ihm herüber.
    «Na, wie war’s denn da draußen?» fragte
er. Mr. Pringle nahm Abschied von einer lebenslangen Gewohnheit.
    «Nicht übel», log er. «Nur ein bißchen
windig.»
     
    Er mußte mit der Fähre zurückfahren,
weil Frank erklärte, daß er es sich nicht leisten könne, noch mehr von der
Bootsausrüstung zu verlieren.
    «Matthew will immer noch, daß ich mit
ihnen nach Griechenland fahre — ich nehme an, wegen der Kosten.» Er lag in
Mavis’ Doppelbett. Sie hatte ihn bei seiner Rückkehr, als er unverhofft im Bricklayers, wo sie stundenweise
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