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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orths
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öffnete den Koffer. Im Koffer befanden sich ein gefälschter Pass mit einem Foto von mir auf den Namen Edwin Röder samt Abiturzeugnis, Erstem und Zweitem Staatsexamen, Ernennungsurkunde zum Studienrat, ein Mietvertrag mit Wohnungsschlüssel und genauer Lagebeschreibung in einem Frankfurter Stadtplan, ein Konto über 10000 Euro, hinterlegt bei der Deutschen Bank, das Geld, hieß es in einem Begleitschreiben, werde ab Montag, dreizehn Uhr für mich freigegeben, falls ich mich zuvor um acht Uhr morgens am HDGG in Frankfurt einfinden würde, sollte ich mich dazu entschließen, eine Stelle in Hessen anzunehmen, bei den Roten. Außerdem fand ich noch einen dick gepolsterten Umschlag, auf dem stand Für die Flucht aus Baden-Württemberg vielleicht von Nutzen . Drin fand ich Pistole, Munition und eine Bedienungsanleitung. Ich las die Bedienungsanleitung, lud die Pistole, steckte sie mir vorn in die Hose, zog das Hemd drüber, verbrannte meinen alten Pass und alles, woran man meine bisherige Identität hätte festmachen können, in der Badewanne, schnappte mir einen Koffer, stopfte die neuen Dokumente und einige Kleidungsstücke und Dinge, die mir wichtig erschienen, hinein, nahm den Koffer, ging zum Bahnhof, gemütlich, langsam, ohne Eile, stieg in den Zug nach Göppingen, fand, als ich den abgeknipsten Fahrschein in den Seitentaschen meiner Jacke verstaute, die aus der Göppinger Tageszeitung herausgerissenen Wohnungsannoncen, zerknüllte sie, warf sie fort und atmete durch. In Göppingen schloss ich den Koffer in ein Schließfach und machte mich auf den Weg. Sechs, null begrüßte mich Herr Krämer. Null, nickte ich.
    Ich kam gerade rechtzeitig. Fünf Minuten vor Beginn der großen Pause. Ich ging zu Pascal, der eine Freistunde hatte, und wünschte ihm viel Glück für die Verleihung der Goldenen Missio, Achim Renner musste ich trösten, da ein Schüler am gestrigen Tag eine der Statuen aus Versehen umgestoßen hatte. Kniemann, Klüting, Linnemann und die meisten anderen waren im Unterricht. Ich sagte Renner, er solle Grüße ausrichten, an alle, die ich kenne. Wieso? fragte er, was ist los? In diesem Augenblick klingelte es. Ich fragte Renner zurück, warum er nicht einfach die Schule schmeißen würde? Und dann? fragte er verständnislos. Wo soll ich dann hin? Nach Bali, sagte ich und stellte mich an die Tür zum Lehrerzimmer. Die Lehrer strömten herein. Als nach fünf Minuten alle mit Ausnahme der Pausenaufsichten vollzählig versammelt waren, zog ich einen der beiden gestern erbeuteten Schlüssel aus meiner Hosentasche, räusperte mich und rief, ich habe einen Schlüssel gefunden! Stille. Dann brachen vereinzelte Rufe aus, ein Schlüssel, schrie man, gefunden, nicht dem Direktor gegeben, bravo, Kranich! Ich fasste mir in die Tasche, holte den zweiten Schlüssel heraus und rief, ich habe noch einen Schlüssel gefunden! Jetzt drängten sich die Lehrer um mich, es lebe Kranich, riefen sie, Stramm und Klüting nahmen gerührt ihre Schlüssel entgegen, bedankten sich vielfach, auch die anderen Lehrer winkten mir lächelnd zu. Dann nahm ich den Umschlag, den der Direktor mir gegeben hatte, aus der Tasche und schrie, ich bin einer der beiden Geheimen Sicherheitsbeamten! Die Lehrer zuckten zusammen. Das ist doch Quatsch, rief Klüting, die sich als Erste gefasst hatte. Wenn das stimmte, hätten Sie uns doch nicht gerade die Schlüssel zurückgegeben. Genau, riefen einige andere Lehrer. Ich reichte Klüting den Umschlag. Das ist der Beweis, rief ich. Klüting öffnete den Umschlag. Warum sollte es zwei geben? schrie Linnemann. Es hat noch nie zwei GSB s gegeben. Ich bin fest davon ausgegangen … Da rief Klüting entsetzt, es stimmt, es stimmt, er ist es! Die Lehrer wichen einen Schritt zurück. Ich stand immer noch an der Eingangstür und zog nun meine Pistole aus dem vorderen Hosenbund, ließ das Magazin, so, wie ich es in der Bedienungsanleitung gelesen hatte, klickend zurück- und vorschnappen, zielte in die Luft, drückte ab, ein Knall, Rauch, Putz bröckelte von der Decke, ich rief, das ist ein Überfall! Die Lehrer schwiegen. Ich sagte, Gräulich, nehmen Sie Ihren Hut und sammeln Sie sämtliche Schulschlüssel ein. Gräulich nahm den Hut vom Garderobenständer und ging an den Lehrern vorbei, von denen die meisten Mühe hatten, ihre mit Schlössern und Ketten an den Gürtelschnallen befestigten Schlüssel loszubekommen. Nach zehn Minuten trat Gräulich mit einem dick gefüllten Hut voller Schulschlüssel vor mich
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