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Leben bis zum Anschlag

Leben bis zum Anschlag

Titel: Leben bis zum Anschlag
Autoren: Elisabeth Rapp
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den Putzjob gegeben und sie vorsichtig und vergeblich angebaggert. Ihr Schwager, Orhan, war damals schon ein berühmter Kämpfer. Zehn Jahre ist das her. Seit zehn Jahren kennt er also Mehmet. Es gibt in seinem Leben niemanden sonst, der so lange so loyal zu ihm gestanden hat.
    Er hebt sein Glas. »Auf dich, Mehmet. Ich kenne dich, seitdem du sieben Jahre alt bist. Mögen deine kommenden dreiunddreißig Jahre es gut mit dir meinen.«

    Sie stoßen an, und Mehmet erinnert das an einen schottischen Highlander-Film. Nur der Titel fällt ihm nicht ein.
     
    Die Eingangstür lässt sich nicht mehr schließen, der Fahrstuhl ist immer noch kaputt. Selbst im relativ gelüfteten Erdgeschoss riecht es nach den Schuhen, die in sämtlichen Stockwerken vor den Wohnungstüren herumstehen.
    Das Treppenhaus hallt wider von den rhythmischen Sprüngen eines Typen, den Nora von irgendwoher kennt. Bevor ihr einfällt, woher, ist er an ihr vorbeigesprungen und macht dabei einen ausgesprochen gut gelaunten Eindruck.
    Nora hat den Finger noch auf der Klingel, da reißt Maika schon die Tür auf. Sie ist in ein Handtuch gewickelt und ihre Augen leuchten. Sie sieht so froh aus, dass Nora vollkommen ratlos ist, wie sie es formulieren soll.
    Der Ausdruck der Freude in Maikas Augen verblasst. »Hi, Nora, was ist los?«
    »Wir müssen Mao beerdigen. Ich hab ihn gefunden«, sagt sie schnell. »Tut mir echt leid, Maika.«
     
    Die Teekiste ist von Maika. Es ist ihre schönste. Mao hat oft darin geschlafen. Der Rollwagen ist aus Onkel Fadils Lager. Keath hat ein weißes Leichentuch mitgebracht, und Dali übernimmt es, Maos sterbliche Hülle mit großer Pietät auf das Tuch zu manövrieren. Sanft wird er in die Kiste gebettet und mit Rosenblättern bedeckt. Mehmet macht den Deckel drauf und der Leichenzug setzt sich in Bewegung. Maos Beerdigung soll auf dem Brachgelände hinter dem Türkischen Kültürverein stattfinden.
    Es gibt eine Schaufel und der Boden ist hart. Viele Steine und Betonreste stecken in dem Grund.

    »Six feet under schaffen wir nicht«, stöhnt Keath.
    »Wie viel ist das?«, fragt Nora.
    »1,83 Meter.«
    Ausgeschlossen, das ist vier Zentimeter länger als Mehmet und vier Zentimeter kürzer als Dali. Anderthalb Stunden später passt die Kiste gerade mal in das ausgekratzte Loch und der Abstand zur Erdoberfläche beträgt knappe dreißig Zentimeter.
    Die Trauergemeinde einigt sich auf einen großen Steinhaufen, der soll verhindern, dass Hunde oder andere Viecher Mao wieder ausbuddeln. So kann Maika das Grab wieder finden, wenn es sie danach verlangt, mit Maos Geist zu kommunizieren. »Aber er hat schon zu Lebzeiten nicht viel gesagt. Er war nur immer da, was ich von meiner Mutter und Oma nicht behaupten kann und von meinem Vater erst recht nicht.«
    Alle sammeln Steine. Nicht irgendwelche, es werden nur besondere Steine ausgewählt und der Grabhügel wächst.
    »Mit Maos Tod geht mehr zu Ende als nur sein Leben«, sagt Maika. »Entweder meine Mutter macht eine Entziehungskur oder ich zieh aus. Ich werde mich nicht mehr um sie kümmern.«
    »Wenn du Unterstützung brauchst, sag Bescheid.« Nora ist froh über Maikas Entscheidung. »Was ist mit der Schule?«
    »Hab noch keine Zusage, aber das wird schon.«
    Sie reden über den Club, wie es weitergehen könnte.
    Mehmet hat Maika und Dali gegenüber noch nie erwähnt, dass er die feste Absicht hat, Leifs Club zu übernehmen, falls er ihn eines Tages verkauft. Aber gerade im Moment rückt es wieder in seinen Vorstellungsbereich, dass er es doch zusammen mit Nora und Keath macht. Die Beerdigung weckt in ihm warme Gefühle für seine Lebensretter.
    »Liebe Freunde, fünfzehn Jahre alt ist Mao geworden«, sagt
Maika. Dann wendet sie sich dem Grab zu. »Du warst immer wichtig und immer da für mich, Mao. Mit dir hab ich das letzte Stück Kindheit verloren. Das sag ich ohne Wehmut, weil meine Kindheit hoffentlich nicht die Zeit in meinem Leben sein wird, der ich am meisten nachtrauere. Aber dich hab ich immer lieb gehabt, Mao. Danke.«
    Dalis Schultern zucken. Über Keaths Gesicht läuft eine Träne und Nora die Nase. Mehmet lehnt überwältigende Gefühle ab.
    »Meine Freundschaft zu Mehmet ist fast genauso alt wie Mao, und ich hoffe, wir führen sie ein Leben lang fort.« Keath legt seine Blumen aufs Grab.
    »Jetzt hört ihr alle aber mal auf«, schluchzt Mehmet, »das ist doch total traurig!«
    »Ich bin fünfzehn, so alt wie Mao«, sagt Nora. »Aber in ein paar Tagen werde ich sechzehn
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