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Lauter Irre

Lauter Irre

Titel: Lauter Irre
Autoren: Tom Sharp
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rotes Haar hatten sie geerbt –, und dies mit dem reizlosen Äußeren und der Entschlossenheit ihrer Mutter verbanden, gab es hinsichtlich des Ausgangs besagter Schlamm-Ringkämpfe niemals Zweifel. Hierbei, genau wie bei allem anderen, an dem die Frauen der Gropes ihre Hände im Spiel hatten, triumphierte die weibliche Linie der Familie. Bei den Gropes übernahm folglich auch die älteste Tochter den Familienbesitz, während in jeder anderen Familie der älteste Sohn erbte.
    Dies wurde zu einer so festen Tradition, dass weithin gemunkelt wurde, bei den eher seltenen Gelegenheiten, wenn das erstgeborene Kind ein Junge war, würde der Säugling gleich nach der Geburt erwürgt. Wie dem auch sei, im Laufe der Jahre brachten die Gropes jedenfalls ungewöhnlich viele Mädchen hervor. Allerdings war dies vielleicht auch der Tatsache geschuldet, dass die Männer, die die Grope-Frauen ehelichten, dazu neigten, ein wenig weibisch zu sein – was auf die offenkundige Männlichkeit der Frauen zurückzuführen oder lediglich eine Typfrage war.
    So wie einst Awgard musste jeder Bräutigam den Namen Grope annehmen. Nur allzu häufig wurden die Männer auch zur Heirat selbst genötigt. Kein normaler mannhafter Bursche hätte einer Miss Grope freiwillig die Ehe angetragen, nicht einmal im Zustand fortgeschrittener Trunkenheit. Es mag durchaus an der Beharrlichkeit gelegen haben, mit der die unverheirateten Grope-Mädchen die Junggesellen der Gegend immer wieder zum Schlamm-Ringkampf herausforderten, dass diese Kurzweil bald ihren Reiz verlor und schließlich ausstarb. Selbst die tapfersten Ringer zögerten, ehe sie diese Herausforderung annahmen. Zu viele junge Männer waren nach diesem Martyrium halb am Schlamm erstickt wieder aufgetaucht und hatten nicht leugnen können, dass sie ihren Widersacherinnen einen Heiratsantrag gemacht hatten. Außerdem waren die Grope-Maiden auch viel zu unerschütterlich vereint, um irgendwelches Leugnen hinzunehmen. Bei einem schrecklichen Zwischenfall hatte einmal ein Bursche – nachdem es ihm gelungen war, den Schlamm auszuspucken – frech verkündet, er wolle lieber sterben, als zum Altar zu schreiten und »Mr. Grope« zu werden. Und war daraufhin sofort wieder in die Schlammgrube geschleudert und untergetaucht worden, bis er seinen Entschluss in die Tat umgesetzt hatte.
    Zu ihrem Leidwesen wurde den männlichen Nachfahren der Gropes auch noch vorgeschrieben, welchen Beruf sie zu ergreifen hätten. Konnten sie lesen, so traten sie in den Dienst der Kirche, wenn nicht (den meisten wurde keine Gelegenheit zuteil, es zu lernen), wurden sie zur See geschickt, und man bekam sie nur selten jemals wieder zu Gesicht. Kein Mann, der klaren Verstandes war, wäre nach Grope Hall zurückgekehrt, um in die Fußstapfen seiner Väter zu treten und Schafe zu hüten, in der Küche zu helfen und nur dann etwas sagen zu dürfen, wenn Ehefrau, Schwiegermutter oder Schwägerinnen das Wort an ihn richteten.
    Es gab kein Entkommen. Früher einmal hatten ein paar der Angetrauten es bis zur Bruchsteinmauer geschafft, die die Ländereien der Gropes begrenzte, und einer von ihnen war sogar darübergestiegen. Doch die Kargheit der Landschaft und die Erschöpfung, die in ihren Gliedern steckte, weil sie die unersättlichen Gelüste ihrer Gattinnen im Bett befriedigen mussten, machte ihnen jegliches Weiterkommen unmöglich. Sie wurden von nervenaufreibend freundlichen Bluthunden, die eigens darauf abgerichtet worden waren, irregeleitete Ehemänner aufzuspüren, zum Familienwohnsitz zurückgeleitet und nach einer heftigen Strafpredigt ohne Abendessen zu Bett geschickt.
    Auch in weniger wüsten Zeiten herrschten die Frauen der Gropes weiterhin über die Männer der Familie und sorgten dafür, dass die Existenz des Anwesens so weit wie möglich unbemerkt blieb. Natürlich war Grope Hall bei Weitem nicht mehr die Hütte aus Grassoden, in die Ursula seinerzeit Awgard den Bleichen gebracht hatte. Generationen willensstarker Frauen waren von ihren weibischen Ehemännern darin bestärkt worden, seidene Wandbehänge, Stuckdecken und venezianische Stühle anzuschaffen – und natürlich Wasserklosetts, die in puncto Ungestörtheit und Komfort dem Plumpsklo draußen auf dem Hof weitaus überlegen waren. Es wäre vermutlich zu viel verlangt gewesen, wenn alles auch nur annähernd beim Alten geblieben wäre. Trotzdem gingen die Veränderungen nur langsam und stückweise vonstatten. Nichts wurde weggeworfen und nichts allzu Auffälliges
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