Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lauter Irre

Lauter Irre

Titel: Lauter Irre
Autoren: Tom Sharp
Vom Netzwerk:
dem Gebäude hinzugefügt, was die Aufmerksamkeit auf Grope Hall hätte lenken können. Selbst die Grassoden der ursprünglichen Hütte wurden noch dazu benutzt, den Zwischenraum zwischen den Schlafzimmerdielen und der darunterliegenden Decke auszufüllen, um den Lärm der ehelichen Aktivitäten im Obergeschoss zu dämpfen.
    Im 19. Jahrhundert hatte Grope Hall das Aussehen eines großen und ziemlich komfortablen Northumberland-Bauernhauses. Nichts an den dicken grauen Steinmauern und den kleinen Fenstern deutete auf die merkwürdigen Familientraditionen hin. Trotzdem war es unmöglich, im umliegenden Bezirk einen Mann ausfindig zu machen, der bereit war, sich in Reichweite einer Miss Grope zu begeben; der Brauch des Schlammringens war zwar längst ausgestorben, doch die Erinnerung an dieses fürchterliche Spektakel und seine schrecklichen Folgen für die Beteiligten hielt sich in der Gegend. In gewisser Weise trug dies sogar zu dem Wohlstand bei, dessen die Gropes sich erfreuten. Eine Miss Grope brauchte auf dem Markt in Brithbury bloß aufzutauchen, und schlagartig waren sämtliche halbwegs ehetauglichen Männer vom Vorführpferch verschwunden. Die Viehpreise fielen rapide, wenn die Dame zu kaufen gedachte. Oder sie schnellten in die Höhe, wenn sie etwas zu verkaufen hatte.
    In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts war es so schwierig geworden, in Northumberland einen Ehemann aufzutreiben, dass nur die Erfindung der Eisenbahn die Familie davor bewahrte, ernsthaft darüber nachdenken zu müssen, die Väter ihrer Kinder im Irrenhaus des Bezirks zu rekrutieren – mit allen verderblichen Auswirkungen, die dies auf künftige Generationen gehabt hätte. Nicht, dass es unbedingt ein unüberwindliches Problem dargestellt hätte, mit einem Verrückten verheiratet zu sein. In der Vergangenheit hatten sich diverse Ehegatten als derart unfruchtbar oder unheilbar impotent erwiesen, dass man extreme Maßnahmen hatte ergreifen müssen: entweder die Entführung von auf der Durchreise befindlichen Fremden oder die Bezahlung für die geschlechtlichen Dienste unbedachter Handwerker, die vielköpfige Familien zu ernähren hatten. Mehr als einem Reisenden war auf dem Weg durch Mosedale das schreckliche Erlebnis widerfahren, dass eine als Mann verkleidete Grope-Jungfer ihm aufgelauert und ihn gezwungen hatte, etwas zu vollziehen, was er für einen widernatürlichen Akt hielt, ehe er, mit Gin und Opium betäubt und meilenweit von Grope Hall entfernt, besinnungslos in einem Graben liegen gelassen worden war.
    Die Eisenbahn änderte das alles. Jetzt war es möglich, bis nach Manchester oder Liverpool zu reisen und mit einem Verlobten heimzukehren, wenn auch mit einem, der nicht wusste, dass er verlobt war, bis er in der kleinen Kapelle hinter Grope Hall dem Reverend Grope gegenübertreten und »Ja« sagen musste. Die Tatsache, dass etliche dieser Bräutigame bereits verheiratet waren und Frau und Kinder hatten, wurde fröhlich übersehen, denn dieser Beweis ihrer Fruchtbarkeit machte sie nur noch attraktiver. Nicht nur das, diese Männer hatten verständlicherweise auch nichts dagegen, ihren Namen zu ändern. Das Wissen darum, dass ihnen eine Anklage wegen Bigamie und lange Gefängnisstrafen drohten, sorgte für eine Bindung an Grope Hall, die andernfalls vielleicht nicht entstanden wäre.
    Doch das hartnäckigste Problem waren die männlichen Erstgeborenen oder, noch schlimmer, jene Grope-Frauen, die keine weiblichen Nachkommen zur Welt brachten. Der Registration of Births & Death Act aus dem Jahre 1835, laut dem Geburten und Todesfälle offiziell zu registrieren waren, machte das alte Hausmittel, männliche Säuglinge bei der Geburt zu erwürgen oder zu ersticken, zu einer eindeutig riskanten Vorgehensweise. Nicht, dass die Familie jemals zugegeben hätte, auf derlei Mittel zurückgegriffen zu haben.
    Ein eklatanter Mangel an weiblichen Erben war ganz besonders ein Problem für Mrs. Rossetti Grope, die anscheinend nicht in der Lage war, Mädchen zu gebären.
    »Ich kann nichts dafür«, jammerte sie, als der siebte kleine Junge das Licht der Welt erblickte. »Es ist Arthurs Schuld.«
    Diese Ausrede, die sich später als wissenschaftlich korrekt erweisen sollte, besänftigte ihre Schwestern nicht im Mindesten. Beatrice war ungemein erbost.
    »Du hättest dir den Kerl gar nicht erst aussuchen sollen«, schnaubte sie. »Jeder Trottel kann doch sehen, dass er geradezu widerlich zügellos und männlich ist. Kennen wir denn hier in der Gegend
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher