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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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DER ENGEL ORDNUNGEN
    Wer den Engeln nahe ist, braucht nichts mehr zu beweisen. Er ist gerechtfertigt vor Gott und der Welt. Das ahnte ich schon in meiner Jugend, die schwarz war und voller Angst, in dem Jahr, als ich fünfzehn war, verklemmt und bis zur Einsamkeit arrogant.
    Zuerst war mir mein Engel auf dem Fernsehschirm erschienen. Er verkörperte sich in dem kleinen, tragbaren Klotz auf meiner Kommode, der nur mir gehörte; in meinem persönlichen Kanal zur Welt. Der Engel erschien immer nur für drei, vier, fünf Minuten, doch bald erschien er mir überall. Seine Stimme drang, immer nur für ein paar Momente, aus den Lautsprechern der Radios, der Kneipen, der Diskotheken. Es war eine körperlose, reibungslose Stimme; sie klang, als käme sie aus großen Weiten. Sie klang hoch und flach wie auf Helium, schwerelos taumelnd im Edelgas. Engel sind leicht, sie sind ohne Gewicht. Und so lernte auch ich, das Leichte zu lieben, das mich der Sonne entgegentrug wie einen Fesselballon.
    Ich hatte keinen Zweifel, dass der Engel nur für mich gekommen war. Denn wie durch ein Wunder erschien er immer genau dort, wo ich war. Andere, so kam es mir manchmal vor, konnten ihn nicht hören; meine Mutter etwa hackte ungerührt weiter Zwiebeln, wenn seine Stimme aus dem Küchenradio kam.
    Der Engel war wunderschön. Er war blond und lockig undweiblich, damit auch ich ihn als Engel erkennen konnte. Nicht so, wie sie sind, erscheinen sie, sondern so, wie die Sehenden sie sehen können , lernte ich später. Denn alles, was ich bis dahin über Engel wusste, wusste ich von den Biedermeierbildern meiner Großtante Ada, von den Weihnachtskarten meines Großonkels Kurt. Der Engel trug Kreuze um den Hals, damit ich ihn nicht für einen Dämon hielt. Der Beruf der Engel, das wusste ich damals noch nicht, ist Kommunikation. Und deshalb sprechen sie immer genau die Sprache, die man versteht.
    Der Engel, die Hand im Schritt, sprach zu mir: Dein Leib ist gebenedeit. Und so liebkoste ich meinen Leib und richtete ihn her für die Blicke der Menschen. Der Engel, von kräftigen Männern umtanzt, sprach: Lass die Liebe scheinen. Und ich, unter Tränen, malte mit Lippenstift Herzchen an den Spiegel. Der Engel, vor Skylines tanzend, sprach: In der Stadt ist das Leben. Und so ging ich, so bald ich konnte, zum Studieren in die Stadt. Der Engel, zwischen Situp und Sonnengruß, sprach: Harte Arbeit führt zum Ziel. Und so machte ich mich, so bald ich konnte, an meine Karriere.
    Engel, sagt Origines, ernähren sich von nichts als göttlichen Strahlen. Auch mein Engel war dünn und wurde immer dünner; und so setzte auch ich mich auf Diät. Beweg dich, sagte der Engel, und er machte mir vor, wie man sich bewegt. Engel sind semper mobiles , immer in Bewegung, sagt Johannes von Damaskus; mein Engel war der beweglichste von allen. Er dehnte sich im Spagat, streckte das Bein in die Luft, drehte sich um die eigene Achse, bis mir schwindlig wurde.
    Ich sah den Nabel des Engels, der seine Mitte beherrschte wie ein allsehendes Auge. Ich sah seinen herrlich unbeirrbarenAufschwung nach oben . Stockend, tastend folgte ich seinen Bewegungen, setzte ein Bein vor das andere, zuckte mit den Schultern, warf den Kopf zurück. Ich stand vor dem Spiegel im Schlafzimmer meiner Eltern, und hinter mir stand der Engel mit ernstem, aufmerksamem Blick. Denn Engel machen keine Witze, und mein Engel war keine Ausnahme.
    Engel sind keine Götter. Sie herrschen nicht, sondern sie dienen. Auch mein Engel zögerte nicht, mir zu dienen, mich zu leiten, mir Orientierung zu geben und die Regeln, nach denen gespielt wurde. Und er antwortete mir und ließ mich wissen, was die Dinge bedeuteten . Der Prophet Ezechiel berichtet von einem Engel, der durch Jerusalem ging, um die Hüften einen Gürtel aus Saphiren; er malte jedem Gerechten ein Zeichen auf die Stirn. Und auch mein Engel ging durch die Welt und kennzeichnete jeden, der es hatte: It , ritzte er ihnen in die Netzhaut, it, it, it.
    Immer hatte ich Angst gehabt, dass die Zeit an mir vorüberlief, lautlos und ohne mich zu streifen; an mir, an meinem Dorf im Speckgürtel, an meinem Elternhaus, an meinen Freunden. Mein Engel aber ließ mich die Zeit kosten; sie zerging auf der Zunge. Er zeigte mir das Jetzt, den kostbaren, erregenden Moment. Ich war schwach, doch mein Engel zeigte mir eine Stärke, an der ich teilhaben konnte; der ich mich ausliefern konnte wie einem Wind, der den, der ihm gehorcht, zu neuen Ufern treibt.
    Immer hatte ich Angst
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