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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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übertriebene Details über den Campingplatz und dessen Duschbaracken hervor, Pilze, Infektionskrankheiten, lebensgefährlich, das hättest du sehen sollen, ich wäre danach nicht mehr reisefähig gewesen, so alberte sie verzweifelt, ich hätte es bis zu dir gar nicht mehr geschafft.
    Fiona sagte, sie dürfe das hoffentlich nicht so verstehen, dass Martine seit drei Wochen nicht geduscht habe, und stellte ihren Begleiter vor. Er küsste Martine überfallsartig auf beide Wangen, beteuerte in schlechtem Französisch, wie sehr er sich freue und wie viel er schon von Martine gehört habe, und dann gingen sie los, Fiona und der Mann voran, die ein Gespräch auf Italienisch begannen, Martine mit ihrem Rucksack hinterdrein, wie eine Tochter hinter den Eltern. Staunend begriff Martine, dass dieser Mann für Fiona jedes Gepäck kilometerweit getragen hätte, sie aber nur ein kleines Mädchen mit einem miefigen Rucksack war.
    Zum Glück verließ er sie irgendwo auf dem Weg. In Fionas Wohnung verschanzte sich Martine mit ihrem Gepäck im Bad und wusch sich und ihre Sachen im Waschbecken. Sie würde Fiona nach einem Platz zum Aufhängen der Wäsche fragen müssen, und das wäre wie ein Schuldgeständnis. Wie schon manchmal im Frühling fühlte sie sich eingeklemmt, als würde ihr der Atem abgedrückt.
    Als sie in die Küche kam, einen Haufen tropfender T-Shirts über dem Arm, sagte sie trotzig, sie habe übrigens immer am Strand geduscht. Fiona sah sie nachsichtig an, wie ein Kind, das dauernd beleidigt ist, und schlug vor, als erstes einen Stadtbummel zu machen. Da ist noch etwas, sagte Martine, auf einmal todesmutig, ich bin nämlich pleite. Ich hab gehofft, du borgst mir was, vielleicht fünfhundert Schilling, und ich geb dir das zu Hause sofort zurück. Oder ich ruf meinen Vater an, und der überweist es dir hierher, tut mir leid.
    Morgen ist Feiertag, sagte Fiona, ohne erstaunt oder verärgert zu wirken, gib mir einfach alles, was du hast. Martine wollte das nicht, konnte es aber nicht begründen. Sie blieb noch einen Moment stehen, kramte dann die zusammengerollten Scheine aus dem Rucksack und legte sie auf den Küchentisch. Fiona steckte das Geld in die Zuckerdose.
    Als Fiona das Mädchen am Bahnhof sah, war es erst ein Schock. Fiona fremdelte oft mit ihren Freunden, wenn sie sie länger nicht gesehen hatte. Aber das hier war anders. Als sie Martine kurz vor den Sommerferien eingeladen hatte, sie hier in Italien zu besuchen, hatte sie geglaubt, sich selbst ein Schnippchen zu schlagen. Sie betrachtete Martine als etwas Drittes zwischen fremd und Freund, einen merkwürdigen Trabanten, jemanden, der ihr überall gleich fern sein würde. Von ihren paar Freunden kam niemand für den Besuch in Frage, denn diese in letzter Sekunde gebuchten sechs Wochen waren nichts anderes als eine Flucht. Niemand sollte sie so sehen. Nur Martine, ihre Erfindung, ihr Spleen, war der einzige kleine Trost, den sie sich gestatten wollte. Aber nun stellte sich heraus, dass sie sich geirrt hatte. Auch in Martines Gesicht war die Katastrophe dieses Sommers eingeschrieben.
    Martine war hübscher geworden in den vergangenen Wochen, das lag nicht nur an der Bräune. Sex, dachte Fiona, und das gab ihr doch einen Stich. Zum Glück hatte sie unterwegs diesen gelackten Angeber Antonio getroffen, der machte sich in der ersten halben Stunde als Puffer nützlich, bis Fiona glaubte, sich wieder in einem halbwegs sicheren Gefühlsabstand zu dem Mädchen zu bewegen. In den ersten Sekunden am Bahnhof hatte sie befürchtet, sich völlig zu vergessen, sie wegzuschicken, sie anzubrüllen, sie zu umarmen.
    Als Martine im Bad verschwand, nahm sie trotzdem zwei Tabletten, zur Sicherheit. Schon kurz darauf fühlte sie sich besser. Der wehe, wunde Teil, den Martine unwissentlich mitgebracht hatte, verschwand, übrig blieb eine etwas taube Fröhlichkeit.
    Im einem Café auf der Piazza schickte sie Martine zum Bestellen hinein. Während sie allein war und das Gesicht in die Sonne hielt, hatte sie das Gefühl, als würden Teile von ihr nach langer Zeit wieder auftauen. Die drei kleinen Wunden am Unterbauch taten schon längst nicht mehr weh, nur nachts, wenn sie daran kratzte. Leider hatte sie viel gekratzt, in diesen fast bewusstlosen Nächten, aus Wut und aus Trotz und weil gerade sie jemand war, der kratzen, Blut und Eiter zutiefst verabscheute. Aber heute Morgen, bevor sie zum Bahnhof gegangen war, hatte sie sie zugeklebt, sorgfältig mit Jod, kleinen Mullbinden und
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