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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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Leukoplast, so wie ihr früheres Selbst das schon längst getan hätte. Eine Perfektionistin, die sich nicht gehen lässt, niemals, fast nie. Wunden versorgt man, wie man es gelernt hat, sauber, präzise. Nur weil es blutet, muss es noch lange nicht wehtun. Stell dich nicht so an. Das haben schon andere überlebt. Von ganz hinten im Kopf schlich wieder eins dieser Bilder heran, die sie nächtelang gefoltert hatten, Schläuche, Beutel, grüne Mumien, die sich von oben näherten, Sie haben starke Schmerzen? Doch das Bild zerrann gleich wieder, wie weggezaubert. Die kleinen Pillen. Bald würde man es ohne sie schaffen, das wäre doch gelacht. Fiona lächelte und räkelte sich. Wo blieb Martine? Sie drehte sich um und sah das Mädchen an der Bar in ein Gespräch vertieft. Ein blonder Junge in ihrem Alter, schätzte Fiona, Schwede oder Däne. Er sah gut aus. Und er staunte Martine an, als hätte er ein Weltwunder vor sich. Fiona steckte beide Zeigefinger in den Mund und pfiff, scharf und kurz. Martine drehte sich sofort um, in ihrem Gesicht wechselte konzentrierter Ernst zu fast kindlicher Freude. Sie legte dem Jungen einen Moment lang die Hand auf den Oberarm, machte entschuldigende Gesten und kam, die beiden Campari auf einem kleinen Tablett balancierend, herüber.
    Seit wann stehst du auf Surflehrer?, sagte Fiona und hoffte, es klänge wie ein Witz. Martine strahlte. Dann hoben sie die Gläser und stießen mit dem roten Zeug an, von dem sie, wie Fiona sich plötzlich erinnerte, einmal gehört hatte, es werde mit zermahlenen Läusen gefärbt. Da musste sie wie verrückt lachen, und statt einer Erklärung beugte sie sich vor und strich Martine eine Haarsträhne hinters Ohr, die auf dem Weg ins Campari-Glas gewesen war. Dass der junge Schwede oder Däne alles genau beobachtete, konnte Fiona in ihrem Rücken spüren.
    Mit ihren siebzehn Jahren glaubte Martine noch, es gäbe nur ein einziges, ehrliches Leben, aber sie sei einfach zu dumm und unreif, sich für ihre Variante zu entscheiden. Deshalb fühlte sie sich manchmal wie eine Betrügerin, wenn sie in Fionas Auto kopfwippend Van Morrison hörte, während sie keinen Widerspruch äußerte, wenn ihr Freund über die Nachbarn schimpfte, deren ›seichte Popmusik‹ abends durch die Wände drang. Ihr Freund, der grob gewirkte Leinenhemden und dicke Wollsocken trug, wie sie für das Osttiroler Tal, aus dem er kam, typisch waren, hätte gewiss auch zu Fred-Perry-Polohemden etwas Herablassendes zu sagen gewusst, und ihre Eltern hätten wohl beides, die Leinenhemden und die Markenware, Van Morrison und die experimentellen Grazer Blechbläser, die ihr Freund derzeit für das Nonplusultra hielt, seltsam gefunden. Obwohl sie das nie laut gesagt hätten. Interessant, hätte ihre harmoniesüchtige Mutter wohl geflötet, irgendwie exotisch, und ihr Vater, der Schubert liebte, hätte es vermutlich verstanden, auf irgendeinem höflichen Umweg durchblicken zu lassen, dass ihn persönlich die Blechbläser etwas mehr ansprächen als Van Morrison, das letztlich aber reine Geschmacksache sei.
    Martine hielt die Welten, in denen sie sich bewegte, streng getrennt. Bevor sie mit ihrem Freund auf Urlaub hatte fahren dürfen, musste er jedoch bei ihren Eltern zur Jause erscheinen. Das verstehst du doch, hatte ihr Vater mit bekümmertem Gesicht gesagt, wir können dich doch nicht mit jemandem wegfahren lassen, den wir noch nie gesehen haben. Martine hatte es irgendwie geschafft, dass ihr Freund an diesem Tag die Haare zusammengebunden und von den Leinenhemden ein weißes trug, dem merkte man den ländlichen Stil am wenigsten an. Die Jause war zur Zufriedenheit aller verlaufen. Ein stiller junger Mann, hatte ihre Mutter anschließend gesagt und gekichert, wir werden ihn hoffentlich noch besser kennenlernen. Und ihr Vater hatte nur nachdenklich genickt.
    Der Besuch bei Fiona dagegen war kaum der Rede wert gewesen. Ein Abstecher bei der neuen Französischlehrerin, wer hätte etwas dagegen gehabt? Fionas Position genügte, man musste sie nicht kennenlernen. Martines Eltern gingen aus Prinzip in keine Sprechstunden und nicht zum Elternabend. Wenn es Probleme gibt, erfahren wir früh genug davon, solange es keine gibt, ist das Zeitverschwendung, sagte ihr Vater. Die beschränkte Zeit der armen Lehrer soll denen gehören, die es wirklich nötig haben, sekundierte ihre Mutter. Nur damals, als Martines kleiner Bruder den Zeichenlehrer gebissen hatte, musste sich ihr Vater aufraffen und die Schule
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