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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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diesem Frühjahr, da war einiges anders als sonst.
    Und Martine war wirklich viel reifer als die anderen. Fiona hatte es einmal sogar dem Geliebten gegenüber erwähnt, was die Kleine alles las, noch keine siebzehn. Manchmal verspürte sie Neid, auf den leichten Start ins Leben, den Martine haben würde, mit ihren vielen Talenten und dieser Unbekümmertheit, von der sie gar nicht wusste, dass sie sie vor allem dem Geld ihrer Eltern verdankte.
    Sie selbst hatte sich immer durchkämpfen müssen, aber dafür war sie gemacht. Wer sie gut kannte, und das waren nicht viele, bewunderte ihre Zähigkeit. Fiona hielt das für nichts Besonderes. Sie verabscheute Leute, die sich gehen ließen, und Gejammere und Feigheit. Und sie konnte aus tiefstem Herzen hassen und strafen, auch sich selbst, wenn sie sich einer dieser Todsünden überführt zu haben glaubte.
    Die letzte halbe Stunde im Zug war Martine nervös. Es war ein Fehler gewesen, nicht noch zu duschen. Aber sie hatte den Campingplatz am Ende stellvertretend für den misslungenen Urlaub so sehr verabscheut, die Duschräume erinnerten sie an Konzentrationslager, man musste Münzen einwerfen, die sie nicht passend hatte, ihr gingen ihre Mutter und deren Warnungen vor Fußpilz, über die sie früher immer gespottet hatte, nicht aus dem Sinn, und so verzichtete sie leichthin darauf, diesen Albtraum noch einmal zu betreten. Stattdessen stellte sie sich ein gemütliches kleines Bad mit Warmwasser vor, in dem Fiona schon weiße Handtücher bereitgelegt hatte. Wie zu Hause. Aber so war Fiona eigentlich nicht. Zum ersten Mal fiel ihr die Sache mit den Sandalen von damals ein. Ihr wurde heiß. Sie schlüpfte aus den schmutzigen Stoffschuhen, die sie seit Wochen trug, und beschnupperte sie. Draußen vor der Abteiltür ging ein Soldat vorbei. Er lachte. Sie wurde rot und zog die Schuhe wieder an. Sie rochen nach schmutzigen Stoffschuhen, nur ganz schwach nach Fußschweiß. Martine hoffte, dass das okay war. Dann malte sie sich aus, dass sie Fiona nicht finden würde, dass irgendetwas dazwischengekommen war, und was sie dann täte. Normalerweise war sie nicht besonders ängstlich, aber sie hatte nichts anderes mehr als ihr Zugticket zurück nach Hause, zwei Packungen Kekse und viertausendfünfhundert Lire. Also praktisch nichts. Jetzt erst dämmerte ihr, dass es die Lust auf Demütigung war, die sie dazu getrieben hatte, den letzten größeren Schein ihrem Freund aufzudrängen, obwohl der direkt nach Hause fuhr, mit den anderen beiden Kekspackungen. Wer weiß, was dir unterwegs noch alles passiert, hatte sie herablassend gesagt, und dass sie sich gleich ein paar Hunderter von Fiona ausborgen werde. Das kam ihr jetzt aberwitzig vor. Sie hatte Fiona noch nie um Geld gebeten, ja, eigentlich nie jemanden außer ihren Vater, denn alle Welt wusste, dass ihre Eltern wohlhabend waren. Sie selbst bekam nur das übliche Taschengeld. Es gehörte zu den Prinzipien ihrer Eltern, die Kinder finanziell kurzzuhalten. Deshalb war Geld immer ein Problem. Sie hatte genauso viel oder wenig wie ihre Freundinnen, durfte aber, im Gegensatz zu jenen, keine Klagen äußern.
    Sie sah Fiona schon vom Zug aus, sie stand ganz hinten, unter der Bahnhofsuhr, trug eine Sonnenbrille und ein rotes Tuch über den Haaren. Martines Freude wurde unbändig. Die drei Wochen im Zelt verschwanden in einem staubigen Loch, zusammen mit der ungesunden Trägheit, den ekelhaften Träumen, und der Frühling kam zurück, seine helle Energie. Bald würde sie duschen und den Rock und das Leinenhemd anziehen, die unberührt in einem Plastiksack ganz am Boden ihres Rucksacks lagen. Und dann wäre sie wieder sie selbst, eine reinere Martine, die Fiona gefallen würde.
    Sie lief winkend und rufend auf Fiona zu, doch die reagierte gar nicht. Ein großer Mann stand neben ihr, er beugte sich zu ihr herunter und sprach auf sie ein. Fiona zuckte mit den Schultern und schob sich dann die Sonnenbrille über das Tuch. Sie blinzelte in Martines Richtung und zog eine Augenbraue hoch, was Martine manchmal als Warnsignal empfunden hatte. Dann hob sie eine Hand, wie um zurückzuwinken, ließ sie aber wieder sinken. Sie bewegte sich keinen Zentimeter.
    Zur Begrüßung hielt Martine Fiona linkisch die Hand hin, sie hatten es nie anders gemacht. Doch da nahm Fiona die Sonnenbrille ganz ab und reichte Martine erst die eine Wange, dann die andere. Dann lächelte sie spöttisch und bemerkte, Martine rieche wie eine Tramperin. Martine sprudelte ein paar sehr
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