Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kurpfalzblues

Titel: Kurpfalzblues
Autoren: Marlene Bach
Vom Netzwerk:
aus der Dunkelheit der Garage. Langsam gingen
sie die Auffahrt hinunter.
    Rinkner war ganz in der Nähe. Maria wusste es. Sie konnte ihn
spüren. Konnte ihn riechen. Seinen Alkoholdunst, gemischt mit dem Schweiß
seines Körpers.
    Nur wenige Meter, dann mussten sie an den Steinen vorbei.
    Ein Geräusch. Vor ihnen eine Bewegung in den Büschen. Eine riesige
Gestalt schob sich zwischen den Sträuchern hervor. Gebeugt wie ein Tier.
    Rinkner hielt einen Stein in seinen Händen, der so groß war wie ein
Kindskopf. Er stellte sich ihnen in den Weg, richtete sich auf, schien in den
Himmel zu wachsen.
    »Was soll das?« Martinsen hatte Maria panisch zur Seite gedrängt.
»Hauen Sie ab! Sonst schieße ich auf die Frau!«
    Rinkner machte einen Schritt auf sie zu.
    »Aus dem Weg, los! Sonst bringe ich sie um!«, rief Martinsen.
    Der Riese reagierte nicht. In seiner ganzen Größe stand er vor
ihnen, überragte sie um Haupteslänge. Langsam hob er den Stein in die Höhe.
    »Weg da! Weg da!« Martinsens Stimme überschlug sich fast.
    Er richtete die Waffe auf Rinkner, sah nur noch auf seinen
Angreifer.
    Das war ihre Chance. Ihre einzige Möglichkeit.
    Mit einem Ruck ließ Maria sich fallen und rollte zur Seite.
    Martinsen war stehen geblieben, den Blick angststarr auf Rinkner
gerichtet. Dann drückte er ab. Der Schuss peitschte nach vorn.
    Der Riese wankte zurück, krümmte sich, als habe ihn ein Faustschlag
in den Magen getroffen.
    Für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als ob die Welt erstarrt
wäre. Martinsen stand reglos da, die Waffe in der Hand. Der Riese bewegte sich
nicht. Maria traute sich nicht, zu atmen.
    Doch dann richtete Rinkner sich wieder auf, hob den Stein höher,
immer höher, weit über den Kopf, holte aus und schleuderte ihn von sich.
    Er traf Martinsen mit voller Wucht am Kopf. Ein dumpfes Geräusch.
Martinsen ging in die Knie. Die Waffe fiel aus seiner Hand. Seine Augen waren
weit aufgerissen, der Mund wie zum Schrei geöffnet.
    Der Riese ging mit kleinen tapsigen Schritten auf sein Opfer zu.
    »Bleiben Sie stehen!« Maria sprang hoch, streckte sich nach
Martinsens Pistole. »Rinkner! Weg da! Hören Sie auf!«
    Er stockte, drehte sich zu ihr, verwundert, als komme sie aus einer
anderen Welt. Schwankte hin und her.
    Dann kippte er um, wie ein morscher Baum im Herbststurm.

»A« wie Anfang
    Es gab keinen Ohrensessel.
    Aber im ersten Stock gab es einen Raum mit einem dicken Teppich und
Regalen, die bis zur Decke vollgestellt waren mit Büchern. Vor dem Fenster
stand ein Schreibtisch aus dunklem Holz, die Tischplatte mit Leder bezogen,
darauf eine Messinglampe mit grünem Glasschirm und eine längliche Metallschale,
in der einige Stifte lagen.
    Ob Martinsen hier gesessen hatte, während er seine Gedichte schrieb?
    Maria schaute von dem Buch hoch, das aufgeschlagen vor ihr lag. Vom
Fenster aus konnte man in den Garten sehen. Auf dem Rasen lagen die ersten gelblich
verfärbten Blätter, die der Wind von den Bäumen geweht hatte.
    Endlich kämpften sich wieder ein paar Sonnenstrahlen durch die
Wolken. Während der letzten beiden Tage hatte es nur geregnet. Geschüttet hatte
es, so sehr, dass die Blutflecke in der Auffahrt zur Garage verschwunden waren.
Als hätte der Himmel dafür sorgen wollen, dass nichts mehr an diesen
furchtbaren Abend erinnerte.
    Sie hatten bei Martinsen keines der Gedichte gefunden, die er an Lea
Rinkner und Sarah Szeidel geschickt hatte. Aber zwei Zeilen auf einem kleinen
gelben Zettel, der halb zerrissen hinter dem Schreibtisch lag:
    Goldstrahl durch die Wolken bricht,
    verzaubert die Stadt mit sanftem Licht.
    Es war Martinsens Handschrift. Das »die« vor »Stadt« war einmal
durchgestrichen, dann wieder darübergeschrieben. Offensichtlich gab es Probleme
mit dem Versmaß.
    Maria hatte keinen Zweifel, dass mit der verzauberten Stadt
Heidelberg gemeint war. Im oberen Stockwerk hingen Fotos, jede Menge schöner
Heidelberger Ansichten.
    Die Altstadt im Abendlicht, der Blick hinunter von der
Scheffelterrasse auf den glitzernden Neckar, der Flussgott, der sich im
Schlossgarten in seinem Wasserbecken rekelte.
    Es gab kaum eine Ecke der Stadt, von der Martinsen keine Fotos
gemacht hatte. Vor vielen Jahren war er für ein einziges Semester zum Studium
in Heidelberg gewesen, aber er musste seine Zeit hier wohl in guter Erinnerung
behalten haben. Er war zurückgekehrt, als er zu Geld gekommen war.
    Eine Sorte Fotos gab es allerdings nicht: solche, auf denen Menschen
zu sehen waren. Keine Frau,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher