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Kronhardt

Titel: Kronhardt
Autoren: Ralph Dohrmann
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springen die Hunde gegen die Scheibe; ihr Atem kondensiert, ihre Zähne blecken, und Willem hat Angst.
    Erst als er in den Ausstellungsräumen ist, kann er sich beruhigen. Er sieht einen Jawlensky hängen, einen Rothko und einen Hiroschige. Und zu seiner Überraschung ist auch Der König trinkt von Jacob Jordaens aufgehängt. So sitzt er bald unter den alten Meistern; läßt Farben und Formen wirken, die Landschaften, die Gelage und auch die nackten Brüste einer Göttin, aus denen die Milchstraße ans Firmament spritzt. Er spürt die Stille und Regungslosigkeit aus den Pigmenten, die eingefangene Zeit, und zugleich Sprunghaftigkeit, Unschärfe und Auflösung aller Zeit. So sitzt er, und wenn er noch Angst hat, gibt es außer ihm niemanden, der das weiß. Er könnte ebensogut dasitzen und keine Angst haben.
    Zum Nachmittag hat sich das Violett des Himmels vertieft. Die Hunde sind abgezogen, und als Willem auf dem Platz mit den Prunkbauten steht, vermutet er das Hotel ungefähr zwei Handbreit links neben der Sonne. So peilt er die Richtung und marschiert los. Er besorgt sich Wasser aus einem Kiosk, er zieht im Zickzack durch die Querstraßen bis auf einen Boulevard, und als er das Universal erreicht, leuchtet die Fassade in mildem Purpur. Auf der Säule vor dem Eingang sitzt der Leguan, ein Hund zieht die Rute ein und schnürt davon. Als Willem eintritt, schlagen Tauben auf. In seinem Schlüsselfach steckt eine Nachricht. Die Ramows erwarten ihn am Fluß, und tatsächlich stößt bald das Horn eines Schiffes von dort. Einmal noch geht er in die Küche; findet das Schwein und schneidet sich etwas ab. Nimmt einen Wein dazu, und bevor er loszieht, betrachtet er im Spiegel das neue Jackett.
    Er schlägt Richtung ein gegen den Park. Im lauen Wind Duftspuren von frischem Gras, bald drängen erdige Gerüche durch, und das Rauschen aus den stattlichen Bäumen schwillt und fällt in Ebenmaß. Ein Grünspecht stößt sich durch die Luft; sein Ruf ist Willem vertraut, und er freut sich an dem Lachen. Er sieht ein Eichhörnchen, eine Biene, und dann erklingt nochmals das Horn. Der heisere Ton steigt direkt hinter dem Buchsbaum auf, und einmal meint er, durch das dichte Grün bereits die Spiegelungen vom Wasser zu sehen.
    Die hohen Reihen von Buxus sempervirens wirken sauber gestutzt, und unter der abfallenden Sonne vertieft der ledrige Glanz der Blätter. Ein paar Spatzen tschilpen, und als Willem in das Labyrinth eintritt, erscheint bald eine Richtung wie die andere, und jede Wendung auf ein Ziel hin löst sich im nächsten Augenblick wieder auf. Es ist eine Welt, in der die Sinne keinen Halt mehr finden. Jede Gerade, jeder Winkel verzerrt das Vorankommen, bereits durchschrittener Raum tut sich ohne weiteres wieder auf, und wo eben noch eine Rotverschiebung den Westen vermuten ließ, steht im nächsten Augenblick der aufgehende Mond im fliederfarbenen Himmel. So läßt Willem alles Neue hinter sich und stößt vor ins Alte. Zieht aufgelöst durch Zeit und Raum, hört hier die Spatzen, hört hier das Horn, und am Ende ist es egal, ob er sich auf ein Ziel zubewegt oder umgekehrt das Ziel sich auf ihn.
    Der Fluß trägt die rotblaue Färbung des Himmels. Die Ramows stehen auf einer Landungsbrücke und grinsen; einer mit der Kapitänsmütze, der andere im Kesselpäckchen des Maschinisten. Hinter ihnen liegt eine Barkasse, die Luft über dem Schornstein ist glastig. Holzzeiger auf einer großen Tafel markieren die nächste Abfahrt, auch das Ziel steht geschrieben: Jura – Kreide – Jungsteinzeit.
    Der Anleger wird kleiner, die Stadt löst sich aus ihrer Festigkeit, und voraus weitet sich die Welt. Bald zieht die Barkasse im ruhigen Schlag der Kolben; Wolken treiben gegen die Dämmerung, mal in die eine, mal in die andere Richtung, und Willem steht an der Reling, als ob sie jederzeit einziehen könnten in Jura, Kreide, Jungsteinzeit.

11
    Abendlicht steht auf dem Fluß, sanfte Muster und endlose Fraktale gegen das dunkelnde Land. Das Horn ertönt, voraus nähert sich der Martinianleger, und bald markiert der Stillstand der Kolben das Ende der großen Hafenrundfahrt. Einer der Ramows ist bereits von Bord gesprungen und wirft die Festmacherleine um den Poller, der andere legt eine kleine Gangway aus. Dann gehen die Männer zu dritt den Anleger hoch.
    Barbara steht oben am Geländer und raucht.
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