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Kronhardt

Titel: Kronhardt
Autoren: Ralph Dohrmann
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steigt ein Rauschen, das Telefon kann keine Verbindung herstellen. Der mit der Zahnlücke fährt, Willem und der Schnauzbärtige sitzen auf der Bank daneben. Sie haben die Fenster unten, die Fahrgeräusche sind leise, eine milde Brise fällt ein.
    So schnurren sie durch die Hauptstadt; unter gläsernen Türmen, vorbei an Kathedralen, Siegessäulen und einem weißen Pantheon. Sie ziehen durch einen Triumphbogen, linker Hand erscheinen die Reste einer Zikkurat, und aus dem Himmel sickert violettes Licht. Willem fühlt sich noch einmal wie ein Juri Gagarin und wie ein letzter Mensch, der auf die Relikte eines grandiosen Untergangs blickt. Voran taumeln Bälle aus Gras oder Lumpen über den Asphalt, und wo die Sonne einfällt, stehen Staubsäulen in der Thermik. Ratten ziehen durch die Straßen, auch Ameisenheere, und dann steigt plötzlich ein Rhythmus in die Straßenschluchten. Harte, schnelle Schläge, die sich selbst potenzieren, und die Männer verlangsamen ihre Fahrt. Bald hören sie den Galopp eines Pferdes, dann kommt ihnen das Tier entgegen; es schäumt, die Augen sind verdreht, und hinter den Hufschlägen sind jetzt Gebell zu hören und scharfe Atemstöße. Bald hängen die ersten Hunde in dem dampfenden Leib; es ist eine Jagdmeute, ihre Mäuler blitzen, und sie bringen das große Tier schnell zu Fall. Als die Männer vorbeiziehen, wird das Pferd bei lebendigem Leib gefressen, und in der Lache spiegeln sich die Hochhäuser.
    Die Limousine rollt über einen von hohen Bäumen gesäumten Boulevard. Teils leuchten die Blätter in Herbstfarben, taumeln in einer Brise gegen den Himmel, teils erscheinen sie in frühlingshaften Tönen. Die Häuser haben geschwungene Treppen vor den Portalen, ein Reiterstandbild und ein Springbrunnen erscheinen, dann zieht die Limousine über eine verzierte Bogenbrücke. Der Fluß unter ihnen strömt ruhig dahin, trägt die violetten Farben des Himmels, und ein Park mit gestutztem Buchsbaum langt bis an die Ufer. Gleich daneben liegen Ausflugsdampfer und Barkassen vertäut.
    Das Hotel Universal erscheint von internationaler Zeitlosigkeit. Zaren könnten hier absteigen, amerikanische Schauspieler oder friedliche Wissenschaftler, und Willem hat nichts dagegen, als die Ramows vor dem Eingang halten. Ein paar Hunde stromern, und auf einer Säule vor dem Eingang entdecken die Männer einen Leguan. Wie versteinert sitzt er da, nur seine Augen blitzen, und als er sich zur Flucht entscheidet, geht es schnell. Mit einem Sprung klatscht er auf die Treppen und entwickelt bald eine Geschwindigkeit, bei der die Vorderbeine abheben. Wie ein kleiner Dinosaurier, und so ist er verschwunden, noch bevor die Hunde ihn fassen können.
    Die Lobby ist mit schwerem Teppich ausgelegt. Im hinteren Bereich stehen um einen großen Globus Sessel, und die Männer setzen sich. Laptops und Telefone liegen herum, auf den Beistelltischen stehen Aschenbecher und halbgeleerte Gläser. In einer Trommel stecken Zeitungen, doch es sind ältere Ausgaben mit großen Artikeln über die Katastrophe in Japan und die Revolutionen in Teilen Arabiens, und zuerst scheint es, als markierten die Zeitungen letzte Spuren einer belebten Hauptstadt. Doch dann stößt Willem auf Neuigkeiten vom Georgischen Schädel, und der Artikel klingt für ihn, als käme er aus einer Zukunft. Mit dem Durchbruch des Schädels in die Gegenwart, steht dort, scheint sich eine wellen- oder teilchenförmige Verzerrung auszudehnen, die womöglich auch die großen Konstanten der Naturgesetze erfaßt hat – Lichtgeschwindigkeit oder Zeit, und Willem ist sofort bereit, vor allem die jüngsten Phänomene mit diesem Artikel zu erklären. Doch die Ramows sagen nichts dazu. Sie zeigen ihre leeren Hände, machen ein Gesicht, und dann schlägt einer auf die Sessellehne und sagt: Wie wärs mitm Schlückchen?
    Bald sitzen sie mit einem Glas in der Hand. Der Schnaps rollt wie flüssiger Bernstein, über ihnen hängt ein Kronleuchter, und wenn sich ein Sonnenstrahl in dem Kristall bricht, können sie Staubwirbel sehen. So sitzen sie, und rings die Stille drückt sie tief in das Leder. Auch als einer der Ramows den Globus anschlägt, wird diese Stille nicht durchbrochen. Die bronzefarbene Kugel hängt in einem vierbeinigen Gestell und dreht sich lautlos unter den großen Ringen von Äquator und Meridian. Willem
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