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Kronhardt

Titel: Kronhardt
Autoren: Ralph Dohrmann
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benehmen. Daß Willem ihnen zur Hand geht, halten sie nicht für nötig. Um sein Zimmer könne er sich wohl kümmern, den Rest machten sie, und so entscheidet er sich zu einem Gang.
    Zarte Spuren liegen in der Luft, Gesang und seltsame Rufe, die sonst nichts mit dem Getriebe einer Stadt zu tun haben, und als Willem vom Boulevard in eine Schlucht biegt, hat er vor sich den Mond und im Rücken die Sonne.
    Im Glas der Häuser spiegeln die ausgestreckten Flügel, der Asphalt ist aufgeworfen, aus dunklen Rissen heraus wimmeln Ameisen und glitzern wie ein einziges Lebewesen unter dem Licht. Wo Willem hinsieht, kann er Übernahmespuren anderen Lebens sehen; Pilze, Flechten und auch blasigen Schleim. Ein Hase schlägt davon, ein Ruf steigt auf, und hinter den Schaufenstern werden Luxusautomobile angeboten, Fernsehgeräte oder Aktienfonds. Staub wandert in kleinen Dünen dahin, vor einer Bar steht eine Drehorgel, darunter ein Hut mit Münzen.
    Als er in eine Querstraße zieht, ändert sich die Architektur, und altes Gepräge schiebt sich vor. Bäume, Plätze mit Brunnen und Bänken, und die stattlichen Bürgerhäuser haben Innenhöfe. Die Geschäfte erscheinen eingesessen; Bäcker und Schlachter sind schwarz von innen, und er ahnt die Insekten. Ein Dachs verschwindet im Souterrain eines Hutmachers, auf der anderen Straßenseite steht die Holzbüste eines Schneiders im Schaufenster. Als er den Laden betritt, schlägt eine Türglocke; die Dielen sind dunkel geölt, vor den Wänden erheben sich Regale mit Stoffballen, und zum Fenster steht ein massiver Holztresen. Willem spürt auf Anhieb die seltsam eingefleischte Wärme, und er findet ein wunderschönes Jackett; ein feiner Tweed mit Lederapplikationen, und als er hineinschlüpft, ist es ein Gefühl, als stünde Barbara neben ihm.
    In einer menschenleeren Stadt sind die wirkenden Kräfte von Kapital und Gesetz aufgelöst, und aller Besitz fällt zurück auf Kampfplätze, die alt sind wie das Leben selber. So marschiert er mit dem neuen Jackett, und gleich am nächsten Kiosk bricht er ohne weiteres die Tür auf und nimmt sich eine Büchse und einen Schokoriegel.
    Das Stampfen und der ewige Mahlstrom sind eingegangen in die Gesetze der Wildnis. Aus allem Rhythmus und noch aus der Stille heraus schlagen uralte Welten, und Willem spürt, wie Sekrete und Spuren gesetzt werden, wie sich Organismen formieren und alles Leben aus sich selbst heraus nach Erhalt und Fortpflanzung brodelt. Wie ein Wald erscheint ihm die Stadt oder wie ein Meer, und so marschiert er mit dem neuen Jackett.
    Bald zieht er durch Straßen, die wie aus tiefer Zeit daliegen. Keimzellen, als rings das wilde Land noch bis an die Häuser langte, gewachsen ohne Plan und Reißbrett, und so löst sich alles Stattliche auf, und im Ursprung scheint die Armut verankert. Fenster sind mit Pappe geflickt, um die Fallrohre stehen Spark und Moos. Die Parolen an den Mauern, die hektographierten Plakate fordern die Masse gegen die Macht, in den Eingangsstufen treiben erste Schößlinge, und als Willem eine Tür öffnet, treibt dumpfer Geruch auf.
    Im Hausflur die Wirkungen der Zeit; Vulkanausbrüche, Atomkraft und Sternenkrieg, und gleich im ersten Stockwerk ist eine Tür mit Blumen bemalt; Bienen und Frösche wie von Kinderhand, und als er eintritt, wirkt die kleine Wohnung aufgeräumt. Ein Strauß steht auf dem Tisch, noch leuchtend in den trockenen Herbstfarben. Ein Bügelbrett ist aufgeklappt, er sieht die Wäsche einer Frau. Auch im Schlafzimmer ihre Sachen, daneben Bad und Kinderzimmer. Eine Mutter mit ihrer Tochter, und in den Schubladen der Frau entdeckt er Tagebücher und Intimartikel. Auch die Wohnung darüber ist klein und sauber. Die Einrichtung einfach, Photographien sind aufgehängt, längst vergangene Augenblicke, die die glücklichen Höhepunkte eines Ehelebens markieren. Ansonsten scheint das Haus verkommen. Sessel mit Brandflecken, Lachen auf dem Boden, Kot von Stubenvögeln. Als Willem weiterzieht, ist der Mond untergegangen, und aus der Ferne steigt ein Heulen in den nun fliederfarbenen Himmel.
    Nagetiere huschen, im Licht reflektiert das Chitin der Wirbellosen. Einkaufswagen stehen herum, rußige Ölfässer, und ein Verschlag scheint zu einem Bordell hergerichtet, mit Boxen wie in einem Karnickelstall. Dahinter ziehen Stelzen in die Höhe und tragen eine breite
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