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Kronhardt

Titel: Kronhardt
Autoren: Ralph Dohrmann
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zurückbleibenden Perspektive wie Urgewächse gegen den violetten Himmel stehen. Bald ziehen die nächsten Berge, jeder in seiner Einsamkeit, jeder mit einer Tafel, die in einzigartigen Farben bewachsen scheint. Dann sehen die Männer einen Berglöwen auf einer Felsnase, vielleicht ist es auch ein Luchs, und kaum später sehen sie einen frischen Einschlagkrater in der Prärie, mit Resten eines Meteoriten und geschmolzenem Gestein im Zentrum.
    Der See liegt wie ein Sichelmond in der Ferne, und die Räume des Himmels vertiefen sich darin. Doch beim zweiten Kakao zerflirrt die Klarheit, und bald können sie Vögel erkennen; Schwärme, die aus dem Wasser steigen, und Schwärme, die landen. Schwärme, die auseinanderziehen oder zu einem schwarzen Punkt zusammenfallen, und als sie näher kommen, scheint für einen Augenblick die ganze Welt von dem Flirren erfaßt; am Horizont lösen sich die Berge, die Prärie wird unscharf, doch dann schlagen die Gleise eine Kurve, und die Welt liegt wieder klar unter dem violetten Himmel.
    Wie von dem Burschen vorausgesagt, erscheinen über Mittag die Pyramiden. Hoch aufgebaute Terrassen zuerst, wie Zikkurate, die sich den näher rückenden Bergketten anpassen. Doch bald schneidet sich die klassische Pyramidenform heraus, und vom Perron können sie sehen, wie das Sonnenlicht sich auf den Spitzen bündelt und die Stufen in Rottönen hinabfließt.
    Zum Nachmittag hin verdichtet das violette Himmelslicht; vom Horizont haben sich die Kordilleren noch näher geschoben, tatsächlich steigen die ersten Reflexionen aus der Hauptstadt auf, und der Lokführer stößt den vertrauten Pfiff in den Raum, ein heiserer Grundton, der auf anhaltende Höhe zieht und die Einfahrt markiert.

10
    Die Luft stößt aus dem Zug und zieht in Nebeln über den Bahnsteig. Der Druck einer langen Fahrt, und so markiert der Lokführer den Stillstand. Ein paarmal noch schlagen die Puffer, das Eisen der Räder ist heiß, dann öffnet der Bursche eine Tür, und die Männer steigen aus.
    Nach der Reise erscheint die Welt nun in seltsamer Festigkeit; rings ist Stille, keine Menschen. Bündel und Koffer auf den Gepäckkarren, die Kioske sind offen, die Lautsprecher stumm. Nur Tauben steigen auf, und ihre Flügelschläge hallen wider in der großen Halle.
    Als der Lokführer abspringt, sieht er schweigend auf den menschenleeren Bahnsteig. Er zittert, dann rückt er die Dienstmütze zurecht, zieht eine Taschenuhr und vergleicht sie mit der großen Bahnhofsuhr. Die Zeiten stimmen nicht überein, sagt er. Doch er kann nicht sagen, ob sie vor oder hinter der Hauptstadtzeit sind. Sicher, meint er, Unpünktlichkeit sei wohl ein Faktor in seinem Beruf, doch auch dafür brauche er eine verläßliche Grundlage, und wenn die Zeit in der Hauptstadt korrekt sei, werde er schon bald Signal geben zur Rückfahrt. Dann marschiert er los, um nach Passagieren Ausschau zu halten. Als er zurückkommt, ist er bleich. Die Hauptstadt, meint er, sei ausgestorben.
    Der Bursche pumpt aus seinem Kanister, der Lokführer gibt Schnaps dazu, und so trinken sie am Bahnsteig. Über ihnen schlagen die Tauben, das Echo zerschwingt in der Halle, und zum Abschied hat der Bursche Tränen in den Augen. Daß Willem und die Ramows in der Hauptstadt bleiben wollen, offenbart ihm anscheinend die ganze Leere in der Welt. Er hat Angst, alleine zu sein, und auch der Lokführer muß schlucken. Doch dann blickt er auf seine Uhr, legt Hand an die Mütze, steigt wieder auf die Lokomotive und läßt einen Pfiff in die menschenleere Stadt. Der Bursche springt auf und winkt zum Abschied.
    Die Nacht verbringen sie im Bahnhof. Die Tauben gurren, am Boden streichen Tiere durch die Dunkelheit, und manchmal können die Männer die fremden Atemstöße spüren.
    Zum Frühstück haben sie Dosenfisch; ihre Schritte in der Wartehalle sind laut, Gepäck steht herum, Mäntel auf den Bänken, doch Menschen sind weiterhin nicht zu sehen.
    Draußen erscheint der Himmel in zartem Fliederton, und voran die Boulevards schneiden Schluchten durch die hohen Häuserreihen. Autos stehen bis gegen den Horizont, Hunde streifen umher, auch Schweine, und über der mächtigen Stille kreisen Vögel. Sie steigen in eine Limousine; Geldbeutel und Mobiltelefon liegen auf dem Sitz, daneben Schminkutensilien, und der Motor startet sofort. Aus dem Radio
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