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Kronhardt

Titel: Kronhardt
Autoren: Ralph Dohrmann
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Straße. Die Welt darunter in ewigem Schatten, und Willem sieht Reste, die zu einer Art Heimat gefügt sind; Hütten, aufgebockte Autos, Container. Überall sind kryptische Zeichen gesprüht, auch Handschablonen, die womöglich Reviere markieren; Feuerstellen erscheinen unter der Straße, Kotlöcher, und Willem sieht auch Gestelle, auf die Tierhäute gespannt sind. In einigen Hütten findet er selbstgebaute Jagdwaffen, ein Wurfnetz oder einen Dreizack; er stößt auf ein menschliches Skelett mit einer Fußfessel um den Knöchel und einer angepflockten Leine. Zusammengebundene Eimer oder Büchsen fangen das Regenwasser der Straße, auch Strom kommt von oben, nackte Drähte, die Tauchsieder oder Ghettoblaster speisen, und so schlängelt die Hochstraße wie ein Achsenskelett durch die Stadt. In regelmäßigen Abständen fallen Strickleitern vom Fahrbahnrand, und Willem entscheidet sich schließlich, nach oben zu klettern.
    Obwohl die Leiter schaukelt, kommt er gut voran. Erst nach der Hälfte der Strecke, als der sichere Boden bereits fern ist und die Hochstraße wie ein endloser Überhang erscheint, spürt er, wie seine Muskeln zittern; wie noch die Räume seiner Innenwelt von diesem Krampf erfaßt werden und er Angst ausstößt. So umklammern seine Hände die Sprossen, die Knochen springen weiß hervor, und hinter seinen Augen spulen Bilder. Dann klettert er weiter, Sprosse um Sprosse aufwärts, und jeder Zug, als wäre es eine letzte Tat.
    Die Fahrbahn treibt in vielen Spuren gegen die Sonne. Abseits funkeln die Glastürme, dahinter sieht er Triumphbogen und Siegessäule. Eine Rotte taucht auf, sie grunzen, werfen die Köpfe in seine Richtung und trollen voran. In einem Laster findet er Wasser, und beim Trinken schließt er die Augen; läßt es hinabrinnen, ein Gefühl, älter als das Atmen.
    Iltisse springen über die Autodächer, auch Nager sind in die Kabinen gedrungen. Die Tiere halten Willem im Auge, doch sie flüchten nicht.
    Als er den ersten Abzweig nimmt, hat die Sonne ihren Zenit überschritten und markiert seine Richtung. In der Ferne ahnt er die flimmernde Fassade des Hotels; daneben den Park und das Glitzern des Flusses, und so zieht er wieder ein in die stattlichen Bürgerviertel. Die Querstraßen der Häuserblöcke sind nach Seefahrern und Entdeckern benannt, Kolumbus, von Wrangel, Gagarin, und aus den Mauern riecht er die Geschichte. Die Trümmer längst vergangener Eroberungen, eingeschmolzen und in neuen Epochen wieder zusammengesetzt. So zieht er mit den Entdeckern und Seefahrern; hinter den Torbögen ahnt er die Innenhöfe, die Arkaden, Werkstätten oder Kreuzgänge, und wenn Wind einfällt und Dünen vor sich hertreibt, scheint es, als läge die Stadt bereits in Nacktheit da. Trockengefallen wie ein Riff, und die strahlenden Gipfel abgetragen im endlosen Rhythmus von Tag und Nacht; aufgebrochen von Keimlingen, durchzogen von Sporen, und bald nur noch Scherben, die sich in der Zeit nicht umkehren und nie wieder zu dieser Welt zusammenfügen werden. So zieht Willem voran.
    Er gelangt an einen Platz, um den Prunkbauten stehen; in der Mitte ein steinerner Schutzpatron, und nach Westen ausgerichtet die Doppelspitze des Doms. Tauben sitzen unter den Arkaden, ein Rudel Hunde lungert herum. Gelegentlich schaut einer auf, richtet die Ohren aus, doch sie kommen nicht. Aus dem Schatten hört er Geräusche eines Kampfes, Reißzähne und Leiber, und über dem Platz, auf einer Treppe, entdeckt er ein Einzeltier. Grau wie ein Wolf, und mit dem Kopf auf den Pfoten scheint es träge dazuliegen. Doch Willem ahnt, wie Ohren und Nase in seine Richtung stehen, und so geht er über den Platz. Hält Abstand vom Rudel, und voran steht die Sonne über dem Universal.
    Als der Graue sich erhebt, werden einige Tiere von dieser Bewegung erfaßt. Mit geschärften Sinnen stehen sie da, sehen, wie der Graue zu einem Geheul ansetzt, das bald das ganze Rudel anspricht. Noch die Kämpfe verstummen, und dann scharen sich die Hunde, kläffen, schnappen, bis der Graue sie antreibt.
    Die Wege sind schnell verstellt, und Willem hat nicht viel Zeit. Den Aufgang einer Kunsthalle kann er noch erreichen, die schwere Tür, und dann stoßen schon die ersten Schnauzen durch den Spalt. Er hat Mühe gegen die Wildheit, die nachdrängenden Leiber, und als er die Tür verriegelt hat,
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