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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger
Autoren: Robert Löhr
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Tanz, Sarazenin und Nazarener, bis Walther sie endlich von sich
stoßen konnte.
    Sie hätte sich auf den Boden fallen lassen können, lassen müssen.
Aber sie machte unnötig viele Schritte zurück, theatralisch mit den Armen
rudernd, bis sie endlich mit den Füßen gegen die Attika stieß und rücklings
darüberstürzte. So mochte sie ihren Gott glauben machen, sie wäre gewaltsam zu
Tode gekommen und hätte sich nicht selbst entleibt, den Suren ihres heiligen
Buches zum Trotz.
    Walther hätte sie mit einem Satz nach vorn vielleicht noch fassen
können, aber er war wie angewurzelt stehen geblieben. Er hörte den Aufschlag
und das Geklirr einer Schindel oder eines Tongefäßes, das zu Bruch ging. Dann
die Rufe von Männern. Langsam wagte er sich an die Kante vor und blickte hinab.
Das Mädchen lag zerschmettert am Boden. Bei ihm waren zwei Kreuzfahrer. Als sie
Walthers Kopf drei Geschosse über sich sahen, brüllten sie Flüche auf
Französisch hinauf. Sie verwünschten Walther, wie man in der Stadt einen
Menschen verwünscht, der den Nachttopf aus dem Fenster leert, ohne sich
vergewissert zu haben, dass niemand in der Gasse ist. Nicht weil Walther das
Mädchen vom Dach gestoßen hatte, waren sie wütend, sondern weil er sie damit
beinahe erschlagen hatte.
    Walther verließ das Dach, verließ das Haus und Akkon, kehrte zurück
ins Zeltlager und setzte nie wieder einen Fuß in die Stadt.
    Am Tag darauf pflanzten Richard Löwenherz und Philipp von
Frankreich ihre Banner auf die eroberten Mauern von Akkon, dorthin, wo zuvor
der Halbmond geflattert hatte. Herzog Leopold ließ seine österreichische Fahne
auf gleicher Höhe daneben anbringen, denn schließlich hatten seine Truppen
ebenso tapfer gekämpft. Aber der stolze Richard wollte das Banner des plumpen
Herzogs nicht neben seinem königlichen dulden – zumal der Anteil der Deutschen
am Sieg gering gewesen war –, weshalb er es entfernen und von den Zinnen werfen
ließ. Dass seine Männer um den Abwassergraben wussten, der direkt darunter
floss, konnte man nicht nachweisen.
    Nachdem der österreichische Adler in der Kloake versunken war, darin
der Kot der Ungläubigen floss, und nachdem Richard Plantagenet sich geweigert
hatte, für diesen Schimpf um Verzeihung zu bitten, trat Leopold wutentbrannt
die Heimreise an. Geschlossen verließ das deutsche Heer Palästina.
    Walther bemerkte, dass die anderen Kreuzfahrer – auch solche, die er
gar nicht kannte – ihn nach dem Fall von Akkon mit Hochachtung, mitunter
Bewunderung betrachteten. Hinter seinem Rücken wurde auf ihn gezeigt, hinter
vorgehaltener Hand über ihn getuschelt. Erst auf dem Schiff erfuhr Walther den
Grund für sein Ansehen: Heinrich von Ofterdingen hatte verlautbaren lassen,
Walther von der Vogelweide habe in der ersten Nacht in Akkon die schönste aller
sarazenischen Jungfrauen geschändet und danach vom Dach gestoßen. Er habe also
genau das getan, wovon die meisten Belagerer nur geträumt hatten.
    Walther war schier geplatzt. Wäre der Ofterdinger auf demselben
Schiff heimgereist, er hätte ihn für diese niederträchtige Lüge zweifellos über
Bord geworfen.
    Von der Familie des Mädchens, die gänzlich die dreifache Peinigung
aus Schweinessen, Weintrinken und Kreuzküssen durchstanden hatte, überlebte
keiner. Als eine Woche nach der Einnahme Akkons die Lösegeldverhandlungen
zwischen Richard und Saladin scheiterten, gab der Löwenherzige den Befehl, die
knapp 3000 Gefangenen hinzurichten; Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen.

1 . JANUAR
NEUJAHR
    Als Ofterdingen die letzte Wache übernommen hatte, wartete
er, bis Wolfram eingeschlafen war. Dann sammelte er alle Waffen, die er im Saal
finden konnte – Schwerter, Kolben, Äxte, Dolche und Messer, Armbrüste samt
Bolzen; ihre Waffen und die der überwältigten Thüringer –, und warf sie
nacheinander aus demselben Fenster, aus dem er auch schon das Richtschwert
geworfen hatte. Die meisten Waffen landeten geräuschlos im frischen Schnee am
Fuß der Burg, aber ein Schwert klirrte beim Aufschlag auf dem nackten Fels so
laut, dass Walther erwachte. Schlaftrunken und ungläubig starrte er Heinrich
von Ofterdingen an, der fleißig weitere Waffen entsorgte.
    »Was zur Hölle machst du da?«, zischte er.
    »Ich mache das, worin ich gut bin«, antwortete Ofterdingen im
Flüsterton: »Schwerter aus dem Fenster schmeißen.« Er nahm Wolframs Schwert
auf, betrachtete es einen Wimpernschlag lang und schleuderte es dann hinterher.
»Wenn sich Wolfram
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