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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger
Autoren: Robert Löhr
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Mehr, als er es beabsichtigt haben
mochte, klang es danach, als wisse er es wirklich nicht.
    Keiner der Sänger antwortete ihm. Walther trat zu der Gruppe. »Lasst
sie gehen, Euer Hoheit«, sagte er.
    »Alle beide?«
    »Alle drei«, entgegnete Walther und fuhr auf die erstaunten Blicke
so gedämpft fort, dass ihn außer den Sängern und dem Landgrafen von Thüringen
niemand zu verstehen mochte: »Oder niemanden. Jetzt könnt Ihr Heinrich nicht
mehr hinrichten, ohne auch Wolfram und Biterolf zu töten, die doch von allem
wissen. Ihr müsst sie töten, denn lasst Ihr seine Mitstreiter am Leben, werden
sie, sobald sie die Grenzen Thüringens hinter sich gelassen haben, Lieder auf
Eure mörderische Intrige dichten und verbreiten, die Euch sicherlich nicht gefallen
und die Euer Ansehen hundertmal mehr beschmutzen als alles, was in
Ichtershausen gesungen wurde. Der Fluch der Sänger schneidet scharf.«
    »Ich traue meinen Ohren nicht«, schnappte Hermann. »Walther, das
klingt wie eine Drohung.«
    »Es ist eine Warnung«, antwortete Walther. »Lasst die drei
unversehrt gehen, sage ich. Dann wird ein jeder von ihnen feierlich geloben,
nie ein schlechtes Wort über Euch zu verlieren. In den Klöstern und Kanzleien
mag man die Geschichte niederschreiben, aber die Geschichten, die vom Kaiser
bis zum Bettler, von der Nordsee bis zur Adria durch das Land gehen, die
stammen von uns Sängern. Ihr könnt in dieser Stunde entscheiden, welche
Geschichte die Eure sein soll: die des großherzigen, feinsinnigen Förderers der
Künste – oder die des Tyrannen, der einer längst vergessenen Beleidigung wegen
Deutschlands größte Dichter auf seine Burg gelockt und ausgelöscht hat?«
    Und zur Fassungslosigkeit des thüringischen Landgrafen, ja zur
Fassungslosigkeit aller im Burghof Versammelten nahm Walther von der Vogelweide
auf dem Stuhl des Scharfrichters Platz, schlug ein Bein über das andere, setzte
den Ellenbogen aufs Knie und das Kinn in die Hand; all das mit einer
Sorglosigkeit, als wäre dieser Stuhl nicht Richtstätte, sondern einfach nur
irgendein einladender Sessel beim Feuer – oder eben der Thron des Sängerkönigs, sein Thron.
    »Ich gestehe, mein Lehnsherr«, sagte er aus seiner nachdenklichen
Pose, »dass auch mir seit den letzten Tagen ein paar Reime über das Treiben auf
der Wartburg durch den Kopf spuken, die ein famoses Liedchen abgeben würden.«
    Der Anblick Walthers auf seinem Thron und die verstörte Miene des
Landgrafen, der gefesselte Wolfram, der geknebelte Ofterdinger und der
Menschenauflauf um sie herum, der unbeabsichtigte Mord an Reinmar, Agnes’ Tod
und die Kämpfe der vergangenen Tage: Biterolf wurde es endgültig zu viel. Er
brach mit einem Mal in schallendes Gelächter aus. Es platzte regelrecht aus
seinem Kopf heraus und wurde von den Mauern zurückgeworfen. Er lachte inmitten
der schweigenden Menge. Die Thüringer sahen ihn an, als habe er den Verstand
verloren, aber er konnte sich beim besten Willen nicht bändigen.
    Er lachte, bis die Helligkeit ihn blendete. Biterolf kniff die Augen
zusammen. Über den Zinnen der Wartburg, über den Bergen und Tannen des
Thüringer Waldes war die Sonne aufgegangen.

EPILOG
    »Das war es?«
    »Im Großen und Ganzen, ja. Was sich danach zutrug, ist von wenig
Belang.«
    »Aber hat Hermann die drei hinrichten lassen?«
    »Nein. Er hat sich auf den Kuhhandel eingelassen. Und die Sänger
haben ihr Wort und ihren Mund gehalten. Das hat Hermann in den Annalen den
Platz gesichert als freigiebiger, kunstsinniger Mäzen und hat, sehr zu seinem
Vorteil, seine politischen Fehlentscheidungen etwas überdeckt. Kaiser werden
konnte er nicht, aber zumindest konnte er sich einreden, Kaiser der schönen
Worte zu sein.«
    »Und Walther? Und Wolfram?«
    »Walther blieb noch einige Jahre sein Lehnsmann, bis er ein Lehen
aus der Hand Friedrichs  II . empfing. Selbst Wolfram
und Hermann vergaben einander, wie sich zwei Schachspieler ohne Groll die Hände
reichen, wenn ihre Partie mit einem Unentschieden endet. Wolfram war auch
weiterhin Gast des Landgrafen.«
    »Heinrich von Ofterdingen?«
    »Überlebte, beendete mit der Erzählung von Kriemhilds blutiger Rache
und ihrem eigenen Tod sein Epos und fuhr fort, ein Leben zu führen, das eher
mir als dem Herrgott Freude machte.«
    »Warum weiß niemand mehr, dass er es war, der der Nibelungensage
eine Form gegeben hat?«
    »Das wusste schon damals kaum einer. Anders als Wolfram oder Walther
hat Heinrich sein Werk nicht signiert. Er hat
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