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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger
Autoren: Robert Löhr
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am Ärmel fest. »Du wirst sterben. Und du wirst als der schlechteste
Sänger in die Geschichte eingehen.«
    »Oder als Märtyrer«, erwiderte Ofterdingen grinsend und schlich
voran aus dem Saal.
    Biterolf war schnell überwältigt. Wolfram brüllte und drosch um
sich wie ein Bär, den man im Schlaf gestört hatte. Bevor man ihn in Fesseln
schlagen konnte, hatte er noch einige Nasen gebrochen. Als er im Burghof
erfuhr, dass kein Geringerer als Heinrich von Ofterdingen sie verraten hatte,
geriet Wolfram noch einmal dermaßen in Rage, dass es mehrere Männer brauchte,
ihn zu bändigen. Er beschimpfte den Ofterdinger und verfluchte ihn für die
Ehrlosigkeit, sich der Gnade des Gegners zu unterwerfen, und für die
Treulosigkeit, seine Kameraden auszuliefern – ausgerechnet jene Kameraden, die
sich widerwillig dazu durchgerungen hätten, ihr Leben für ihn hinzugegeben.
Ofterdingen entgegnete gelassen, dass ihm Ehre noch immer nichts bedeute und
dass er das eben gerade verhindern wolle, dass Wolfram und Biterolf ihr Leben
für ihn hingäben. Er wolle nicht schuld sein an ihrem Blut.
    Um die drei Widerständler kamen alle zusammen: der Landgraf, sein
Kanzler, seine Ritter und Soldaten, so sie noch stehen und gehen konnten. Die
Neugier hatte auch Knechte und Mägde zuhauf aus ihren warmen Schlafstätten in
den knöchelhohen Neuschnee des Hofes gelockt. Nun versuchten sie, einen Blick
auf die Gefangenen zu erhaschen, und fanden es unbegreiflich, dass es diesen
drei zerlumpten Gestalten gelungen war, den Palas ihres Herrn mehr als zwei
Tage lang gegen die Armee Thüringens zu halten – um sich dann, ungeschlagen,
selbst auszuliefern.
    Hermann ließ Heinrich von Ofterdingen in die Knie zwingen und
knebeln. Aus seinem Mund sei schon genügend Übel gekommen. Dann genoss er den
Anblick seines Triumphes. Er nickte Walther, der seine Aufgabe erfüllt hatte,
dankend zu.
    Aus der Kemenate kam nun auch Sophia in Begleitung einiger Damen.
Hermann bat sie, sich mit Rücksicht auf das ungeborene Kind umgehend zurück ins
Warme zu begeben, aber sie gehorchte nicht. Sie antwortete nicht einmal und
schlug lediglich den Mantel etwas fester um sich. Von der Vorburg trugen
unterdessen zwei Knechte den Richtstuhl herbei. Meister Stempfel, nun mit
seinem Schwert wiedervereint, folgte ihnen. Er wirkte weder besonders erfreut
über die Aussicht, seine Arbeit endlich verrichten zu können, noch sonderlich
ungehalten darüber, dass er so lange hatte warten müssen. Mit einem
nachlässigen Fingerzeig wies der Landgraf den Punkt nahe den Sängern, wo er den
Richtstuhl aufgestellt wissen wollte.
    Biterolf sah, wie sich Klara mit geducktem Kopf durch einen Pulk von
Knechten drängelte, bis sie ganz vorn stand. Sie zappelte auf der Stelle,
zerrissen zwischen der Angst um Biterolfs Leben und der Freude, ihn noch
lebendig zu sehen. Heinrich von Ofterdingen sah immer wieder am mächtigen Palas
vorbei gen Morgen. »Bete für deine unsterbliche Seele«, raunte ihm Wolfram zu,
»denn ich bin zu sehr damit beschäftigt, sie zu verfluchen.«
    Hermann beugte sich gerade zum tugendhaften Schreiber herunter, um
dessen Ratschlag anzuhören, als vom Garten her ein Schrei ertönte. Einer der
Thüringer hatte bei der steinernen Bank eine steifgefrorene Leiche entdeckt.
Mit Händen wurde der Schnee von dem Leib gefegt. Zum Vorschein kamen der tote
Reinmar von Hagenau und eine unglaubliche Menge blutigen Schnees, der im blauen
Dämmerlicht regelrecht glühte. Es schien ein Wunder, dass ein alter Mann so
viel rotes Blut in sich hatte.
    Der Fund erschütterte Freund wie Feind gleichermaßen. Klara
schluchzte laut auf. Hermann ordnete an, den toten alten Meister ins Badehaus
zu bringen. Als vier Thüringer den erstarrten Reinmar aus dem Schnee lösten und
wegtrugen, da war es, als trügen sie ein Denkmal Reinmars von Hagenau. Alle
starrten den Leichenträgern schweigend nach, und mit ihren vereisten, doppelt
blinden Augen starrte die Leiche zurück. Erst als die Männer mit ihrer kalten
Last im Badehaus verschwunden waren, begriff Biterolf, wer den alten Mann
getötet hatte; wer die lebende Legende in eine tote verwandelt hatte. Doch
niemand schien sich im neuen Jahr für die Mörder des alten zu interessieren.
    Hermann räusperte sich, um nach diesem Zwischenfall die
Aufmerksamkeit wieder zu sammeln und den Prozess fortzusetzen. Er trat an die
gefesselten Sängerkrieger heran und erhob seine Stimme: »Wolfram, Biterolf: Was
soll ich nun mit euch machen?«, fragte er.
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